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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aber sie gehorchten ihm nicht mehr.
    »Halten Sie still«, sagte Shirley. »Ich will versuchen, sie Ihnen von den Augäpfeln zu lösen.« Vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger faßte er die Lider an. Sie zerbröckelten wie verbranntes Papier.
    Aber Bäcker sah Licht, er erkannte das Meer, die Schaumkronen, den Horizont, wo der Himmel mit dem Wasser verschmolz, er sah den gelbgleißenden Sand und vor seinen Füßen eine große Muschelschale.
    »Na?« fragte Shirley heiser vor Erregung.
    »Ich sehe –«, stammelte Bäcker. »Ich sehe …«
    Dann fiel er ohnmächtig in sich zusammen.
    Shirley und Anne schleppten ihn hinauf zur Hütte, einen Menschen mit einem rotschwarz gesprenkelten, aufquellenden, aus der Form treibenden Etwas, das einmal ein Kopf war.
    »Jetzt sind Sie mit mir allein, Shirley«, sagte Anne später, als Bäcker Injektionen bekommen hatte und schlief. »Es wird Ihnen keiner bei Ihrem Einbaum helfen.«
    Shirley verstand die Drohung, und ein Klumpen Angst bildete sich in seinem Magen.
    In den nächsten fünf Tagen lag Bäcker in seiner Hütte und beschäftigte sich mit seinen Schmerzen und den vielen Gedanken, zu denen er jetzt mehr Zeit hatte, als er wollte.
    Anne hatte das Dämmerlicht in der Hütte noch stärker abgedämpft, indem sie die Decke, auf der sonst Shirley gelegen hatte, über Bäckers Kopf spannte und so auch die hellen Sonnenstreifen, die durch das Astwerk stachen, abschirmte.
    Da seine Lider verbrannt waren, deckte sie abends ein Tuch über seine Augen und sagte: »Du mußt schlafen, Liebster.« Er hielt dann ihre Hand, und über alle Schmerzen hinaus war er glücklich, daß sie bei ihm war …
    Shirley hatte nicht protestiert, als Anne ihm die Decke wegnahm. Er versteckte sich nachts auch nicht mehr im Wald, um sicher zu sein, nicht umgebracht zu werden. Er hatte keine Angst mehr vor Anne. »Werner ist für eine lange Zeit aktionsunfähig«, sagte er, nachdem er sich entschlossen hatte, wieder vor der Hütte zu schlafen. »Anne, wie Sie's auch drehen und wenden: Sie brauchen mich! Es hat also keinen Sinn, sich mit mir zu beschäftigen. Allein mit Werner sind Sie verloren, das wissen Sie genau.«
    Für Bäcker sorgte Shirley geradezu rührend. Er schmierte das verbrannte Gesicht mit Salbe ein, umwickelte den Kopf mit Mull und gab ihm, wenn der Schmerz unerträglich wurde, eine Injektion.
    »Noch zwei Tage, dann wird es kritisch«, sagte er eines Abends zu Anne. Bäcker schlief nach einer Spritze, das Tuch über den Augen, die er nun nie mehr schließen konnte. »Ich habe noch zwei Ampullen. Die Mullbinden sind aufgebraucht. Ich kann sie noch einmal auswechseln, dann ist Schluß! Sie sollten die gebrauchten Binden auswaschen, trocknen und aufwickeln.«
    Tagsüber war er im Wald. Man hörte seine Beilschläge bis zum Strand, kräftige Hiebe in einem Rhythmus, den man mitzählen konnte. Schlag – zu, schlag – zu! Er hatte den Kampf gegen den dicksten Baum der Insel aufgenommen. Seine Energie war ungebrochen.
    Mittags kam er zur Hütte zurück, einen großen Fisch oder einen der entenähnlichen Vögel in der Hand, naß vom Schweiß, Staub in den Stoppeln seines rötlichen Bartes.
    »Wie geht es ihm?« war seine erste Frage. Dann wechselte er den Verband, während Anne kochte. Sie hatte die alten Binden zuerst im siedenden Salzwasser des Meeres und nachher in kochendem Regenwasser gewaschen, an Pfählen zum Trocknen aufgehängt und dann wieder aufgewickelt. Aber die Brandsalbe war aufgebraucht, es gab keine schmerzstillenden Injektionen mehr, und die paar Tabletten, die Shirley im Medizinkasten gefunden hatte, blieben ohne Wirkung. Sie waren wie saure Drops. Es gibt Schmerzen, die man nur noch in der Ohnmacht ertragen kann.
    »Es hilft nichts, Anne«, sagte Shirley, als Bäcker wieder vor Schmerzen stöhnte und die Decke unter sich in Fetzen riß. »Sein Kinn ist nicht verbrannt – wir haben nur noch eine Möglichkeit, ihn für kurze Zeit seine Schmerzen vergessen zu lassen.«
    Er beugte sich über Bäcker, schob die linke Hand unter dessen Kinn und schlug mit der rechten Faust genau auf den Punkt. Seufzend sank Bäcker in Bewußtlosigkeit.
    »Sie Vieh!« stammelte Anne und fiel neben Bäcker in die Knie. »Sie verdammtes Vieh!«
    »Anne, seien Sie nicht ungerecht. Jetzt hat er keine Schmerzen mehr. Oder haben Sie eine bessere Narkose? Ich nicht. Jedes Mal, wenn er die Schmerzen nicht mehr ertragen kann, müssen wir ihn k.o. schlagen. Halten Sie mich meinetwegen für unmenschlich, aber

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