Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Über ihm verlor sich das Brummen des Flugzeuges in der Weite. Es flog unbeirrt seine Luftstraße entlang, den winzigen Punkt im Meer hinter sich lassend. Aber in vier Wochen würde ein anderes Lufttaxi kommen.
Einen Monat gewonnen, dachte Bäcker. Das ist viel in unserer Lage. Was kann in einem Monat alles passieren? Shirley kann verunglücken. Vielleicht ist er es schon und hat auch etwas abgekriegt von der Rakete und liegt nun herum wie ich. Anne, laß ihn krepieren! Hilf ihm nicht!
Dann hatte er nur noch einen Gedanken: Bin ich blind? Ist es Nacht, wenn ich jetzt die Lider öffne?
Anne war bei ihm. Sie kniete neben ihm, hob seinen Kopf in ihren Schoß, küßte sein verbranntes Gesicht, schrie mit sich überschlagender Stimme seinen Namen und drückte ihn an sich.
Dann war auch Shirleys Stimme da, heiser, kaum zu erkennen: »Sehen Sie sich das an! Auch das kommt auf Ihr Konto! Sie sind geboren, um zu vernichten. Ist das noch ein Mensch?!«
So also sehe ich aus, dachte Bäcker. Nicht mehr wie ein Mensch? Und Shirley ist gesund, seine Stimme ist kräftig, so spricht kein Verletzter. Ich allein habe die volle Ladung bekommen. Anne, küß mich nicht, küß nicht dieses verbrannte Gesicht, ich bitte dich. O Anne, ich habe Angst, die Augen zu öffnen.
Er spürte Tränen auf sein Gesicht fallen und wunderte sich, daß er überhaupt noch etwas empfand. Er fühlte ihre Lippen und das Zittern ihres Körpers, und langsam schlich sich der Schmerz in seinen Kopf, dieser unbeschreibliche, unerträgliche, unmenschliche Schmerz eines Verbrannten.
»Sie weint –«, sagte er keuchend und begann mit den Zähnen zu klappern, so ungeheuerlich begann sein Kopf zu glühen. »Shirley, sehen Sie es? Sie kann weinen! Das haben Sie immer bestritten! Oh!« Er krümmte sich vor diesem Schmerz rund um seinen Kopf und hieb die Hände wie Krallen in den Sand. Sein Gesicht schien in Flammen zu stehen. »O Gott im Himmel –«
»Wer da nicht weint, ist nicht geboren«, sagte Shirley. Seine Stimme war sehr nahe, er saß also neben ihm. »War das den Einsatz wert?«
»Ja!« brüllte Bäcker. »Ja! Aber das begreifen Sie nie!«
Er krümmte sich erneut und trommelte vor Schmerzen mit den Beinen in den Sand.
»Das bestimmt nicht!« Shirleys Hand glitt über Bäckers Gesicht. »Haben Sie in Ihrer Bordapotheke Brandsalbe, Werner?«
»Ich weiß es nicht. Und wenn … was nützt sie hier? Wie sehe ich aus? Ehrlich, Shirley.«
»Dafür gibt es keine Worte.«
»Ich liebe dich«, sagte Anne und küßte ihn wieder. »Ich liebe dich. Immer, immer liebe ich dich!«
»Können Sie sehen?« fragte Shirley.
»Ich weiß es nicht.«
»Machen Sie die Augen auf.«
»Ich habe Angst davor.«
»Ihre Lider sind sowieso versengt. Sie liegen über den Augen wie altes Pergament. Wenn Sie sie bewegen, fallen sie ab wie Zunder. Aber vielleicht haben sie die Augen gerettet. Zum Teufel, wagen Sie es, Bäcker. Eigentlich sollte man Ihnen wünschen, daß Sie nichts mehr sehen können … vor allem sich selbst nicht mehr.«
»Ich liebe dich –«, sagte Anne wieder. Ihre Tränen fielen noch immer auf sein Gesicht. Irgendwo mußte es da noch eine Stelle geben, wo er das noch empfand. »Ich werde dich immer lieben.«
»Das ist jetzt alles dumme Rederei. Hören Sie auf mit dem Quatsch! Los, laufen Sie, holen Sie den Verbandskasten! Haben Sie Schmerzmittel dabei, Werner?«
»Ja, einige Spritzen.«
Er wurde in den Sand zurückgelegt, dann hörte er Anne davonlaufen. Sie wimmerte dabei wie ein getretener Hund.
»Jetzt sind wir allein, Werner«, sagte Shirley. Er stützte Bäckers Kopf und verlor kein Wort darüber, daß Bäcker vor Schmerzen keuchte und mit den Fäusten in den Sand schlug. »Wir müssen die Wahrheit ertragen. Machen Sie die Augen auf!«
Bäcker nickte. Dann holte er tief Luft. »Wenn ich blind bin«, sagte er erschreckend deutlich, »versprechen Sie mir dann etwas, Shirley?«
»Sie wollen mit Ihren Augen handeln?«
»Ja, Paul. Schwören Sie mir, daß Anne in Papeete ein faires Verfahren bekommt. Sie hat Yul Perkins nicht umgebracht.«
»Das verspreche ich Ihnen, Werner, auch wenn Sie meine Einstellung kennen. Außerdem kann Anne sich den besten Anwalt leisten. Sie könnte den Pariser Staranwalt Floriot einfliegen lassen, soviel Vermögen hat Yul ihr hinterlassen.« Er hielt Bäckers Kopf zum Meer. Bäcker hörte es am Anprall der rauschenden Töne. »Los, machen Sie jetzt die Augen auf!«
Bäcker nickte. Er versuchte, die Lider zu öffnen.
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