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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte er. »Jetzt kann ich es zugeben: An den Einbaum habe ich selbst nicht richtig geglaubt. Ich mußte mich dazu zwingen, ein sturer Optimist zu sein. Aber das da oben ist eine reelle Chance, und wir werden sie uns nicht durch die Lappen gehen lassen. So ein Einbaum ist ein verdammt wackliges Ding, auch mit Auslegern. Nicht jeder kann ihn segeln oder paddeln, ich hab's auch noch nicht versucht. Ich bin nur mit ein paar Papuas mitgefahren und habe mir fast die Hose vollgeschissen. Ich hockte in dem schmalen Kahn wie ein Pflaumenmännchen. Aber um von Ihrer autonomen Insel Viktoria wegzukommen, würde ich selbst auf einem Baumstamm übers Meer reiten. Aha! Da ist es! Sehen Sie den glitzernden Punkt? Links neben der Sonne –« Bäcker sah ihn genau. Viktoria-Eiland muß unter der Route eines Lufttaxis liegen, dachte er. Vielleicht fliegt jeden Monat einmal eine Maschine über uns weg … von den Marquesas zu den Tuamotus. Wenn ich mit dem Sextanten richtig gepeilt habe, liegen wir genau dazwischen. Das ist beruhigend und alarmierend zugleich. Beruhigend, weil man einmal im Monat die Möglichkeit hätte, die Welt da draußen auf sich aufmerksam zu machen … alarmierend, weil die übrige Menschheit wieder so nah ist und es anscheinend keinen Punkt auf dieser Erde gibt, wo man sicher ist.
    Das Brummen wurde lauter, der Wind trieb es auf die Insel zu. Shirley hob den Arm mit der Signalpistole.
    Lebenslänglich, dachte Bäcker. Sie werden Anne in Papeete für immer einsperren. Er dachte an ihren flehenden Blick, er dachte an die weiche, glatte Haut ihres schönen Körpers, er hörte tief in sich noch immer ihre Seufzer in der Nacht. Ich liebe sie, dachte er. Und ich glaube an sie. Für mich ist sie mein zweites Leben, meine ganze neue Welt.
    »Sie schießen nicht!« sagte er laut.
    Shirley lachte. »Drei hintereinander!« Er zeigte mit der Pistole auf das Flugzeug. Es war jetzt deutlich zu erkennen, nahm Form an: die Glaskanzel, die Tragflächen, die Schwimmer.
    Der gleiche Typ wie damals, dachte Bäcker. Es ist tatsächlich eine Flugtaxilinie. Das beweist aber auch, daß hier nie ein Schiff herkommen wird. Viktoria-Eiland ist nur ein Staubkorn im Meer.
    »Jetzt!« sagte Shirley triumphierend. »Jetzt muß er uns sehen. Laufen Sie zurück zu Anne, und nehmen Sie Abschied. Im Gefängnis von Papeete gibt es keine Sexräume –«
    Bäcker zog den Kopf tief in die Schultern. Diese letzte Bemerkung Shirleys war ein grober Fehler. Sie fegte die letzten Bedenken weg.
    Mit einem Sprung, bei dem er gleichzeitig seine Hände um Shirleys Hand krallte, warf er sich auf ihn und stieß ihn zu Boden. Er hockte auf Shirleys Rücken wie eine Katze, und dann wälzten sie sich zusammen durch den aufstaubenden Sand.
    »Sie Verrückter!« brüllte Shirley. Er trat um sich, stieß mit dem Kopf nach Bäcker, schlug mit der linken Faust zu, und als er den rechten Arm freibekam, riß er ihn hoch und drückte ab.
    Im gleichen Augenblick warf sich Bäcker wieder über ihn, der Schuß ging nach unten los, die Rakete bohrte sich in den Boden, rote Fontänen sprühten auf, ein knatterndes, zischendes Feuerwerk in einer quirlenden Sandwolke. Aufheulend kroch Shirley in sich zusammen und schützte mit beiden Unterarmen seine Augen.
    Für Bäcker war es zu spät. Er gab sein Gesicht voll dem spritzenden Feuer preis und deckte die rote Rakete mit seinem Körper zu.
    Anne, dachte er dabei, Anne, o Anne. Ich explodiere. Ich liebe dich. – Bis in den Tod liebe ich dich …
    Dann lag er auf dem Rücken. Sand regnete über ihn, heißer Sand, rot gefärbt von Phosphor und Blut.
    Shirley rollte sich weg, lag auf dem Bauch, starrte zu Bäcker hinüber und fror trotz der heißen Sonne.
    Er hat kein Gesicht mehr, dachte er. Er sieht nicht mehr wie ein Mensch aus. Er trägt auf den Schultern einen verbrannten Klumpen. Und alles wegen einer Frau, wegen dieser verdammten Frau, die es nicht wert ist, daß man auch nur ein Wort mit ihr spricht. Aber er, dieser traurige, hinkende Narr opfert ihr sein Gesicht …
    Bäcker lag bewegungslos. Er hielt die Augen geschlossen und wagte nicht, die Lider zu öffnen aus Angst, er könnte ins Finstere blicken, in die ewige Dunkelheit der Blindheit. Sein Gesicht brannte, aber er hatte sich eine solche Zerstörung anders vorgestellt, grauenhafter, den ganzen Menschen zerfetzend. Jetzt war ihm nur, als habe man ihn über eine Flamme gehalten und kurz darauf wieder weggezogen. Es war zu ertragen.
    Von weitem hörte er Annes Schreien.

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