Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
unten. Er sah in ihre großen dunklen Augen, und es war ihm, als seien sie jetzt schwarz mit einem goldenen Punkt in der Mitte. Er riß sie an sich, so heftig, daß ihr der Atem stockte, und dann umgab ihn die Gluthitze völliger Verschmelzung. Nie zuvor war er so verloren an eine Frau, nie zuvor hatte er eine solche glühende Seligkeit empfunden.
Gegen Mitternacht erst fielen sie auseinander, lagen erschöpft im zerwühlten Sand, ihre Körper dampften, und die Kühle der Nacht war köstlich. Das milchige Licht des Mondes wanderte über ihre nackten Leiber.
»Wirst du Shirley töten?« fragte sie.
Sie lag neben ihm, ihre Worte kamen einzeln, wie zerhackt, von Seufzern unterbrochen.
»Ich weiß es nicht, Anne. Ich habe noch nie einen Menschen getötet. Man sagt das so leicht daher: Ich bringe dich um … aber es ist gar nicht so einfach, es zu tun. Irgendwie muß man dazu geboren sein, um es mit vollem Verstand zu tun. Shirley ist ein sturer Hund, aber er tut nur seine Pflicht. Man hat zu ihm gesagt: ›Bell den Mond an‹ … und er wird ihn anbellen. Man sagte zu ihm: ›Faß zu‹ … und er nimmt einen zwischen die Zähne. Und man hat in Papeete zu ihm gesagt: ›Hol diese Anne Perkins ab‹ … und er holt dich. Darüber hinaus denkt er nicht – es ist nicht seine Aufgabe. Ist das ein Grund, ihn umzubringen? Wenn die Ausrottung von Sturheit Gesetz würde, rottete sich die Menschheit schnell aus.«
»Wieviel Worte um ein Nichts«, sagte sie leise. Er spürte die warme, zärtliche Nähe ihres Körpers, ohne die er nicht mehr leben wollte. »Irgend etwas muß aber geschehen –«
Er nickte, zog sie nahe an sich und legte sein Gesicht zwischen ihre Brüste.
Was, dachte er, o Himmel, was soll geschehen?
Ich kann Shirley doch nicht umbringen …
XII
Es geschah am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück.
Shirley war aus dem Wald zurückgekommen, ausgeschlafen, voll von Ideen, ein Bündel Kraft auf zwei Beinen. Er hatte seinen großen, dicken Baum gefunden, den richtigen für einen Einbaum.
»Daran werden wir eine Woche nagen«, sagte er. »Ihr Beil ist Mist, Bäcker, das wissen Sie. Stumpf wie ein Neunzigjähriger im Puff. Außerdem ist das Beil nicht die beste Qualität, auch wenn Ihr Made in Germany draufsteht. Wir werden zuerst die Schneide auf Steinen schleifen, sonst hacken wir uns die Lunge aus dem Leib. Aber in einer Woche liegt der Baum!« Er schnupperte in die Luft. »Was gibt's zum Frühstück, Freunde?«
»Kalten Entenbraten und Regenwasser.«
»Lukullisch!« Shirley betrachtete Anne, die den Braten in Streifen schnitt. Wie in grauer Vorzeit benutzte sie dazu einen spitzen Stein. »Sie sehen verändert aus, Anne. Verdammt, die Liebe verschönert jede Frau. Werner, gestehen Sie: Sie haben Ihre Viktoria betrogen.«
»Gehen Sie zum Teufel!« schrie Bäcker. »Sie machen es einem verflucht schwer, anständig zu bleiben …«
Shirley lachte grölend. »Die Anständigkeit wird immer geringer, je südlicher sie am menschlichen Körper herunterrutscht, und ich prophezeie Ihnen, daß Anne –«
Mitten im Satz verstummte er. Auch Bäcker und Anne lauschten.
Plötzlich war etwas um sie, was nicht hierher gehörte. Ein Ton, ganz fern, nur gehaucht, wie ein Röcheln des Windes … Bäcker kannte es bereits, und er dachte: Warum muß es jetzt kommen, gerade jetzt, warum überhaupt? Damals war er ihm schreiend nachgerannt … jetzt war er bereit, davor zu flüchten, sich zu verkriechen, zu betteln, daß es um die Insel herumflog.
»Ein Flugzeug!« sagte Shirley. Anne zog erschrocken die Schultern hoch. Es klang wie ›Schuldig des Mordes‹. »Es kommt auf uns zu. Wir brauchen keinen Einbaum mehr. Jetzt ist Ihre Signalpistole dran, Werner. Wenn da oben kein Blinder fliegt, muß er die rote Rakete sehen.«
Er rannte hinunter zum Strand, und Bäcker hinkte ihm nach, getrieben von Annes entsetztem, flehendem Blick.
Shirley stand nahe am Meer, breitbeinig, wie in den Sand gerammt, und wartete auf das Auftauchen des Punktes am Himmel. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, und seine von der Sonne geblendeten Augen starrten in den wolkenlosen Himmel. Die Signalpistole hielt er entsichert in der Hand, in Hüfthöhe, mit angewinkeltem Arm, um sofort, wenn das Flugzeug auftauchen würde, den Arm hochzureißen und die Rakete abzuschießen.
Er hörte Bäcker kommen, er erkannte ihn an dem hinkenden, knirschenden Schritt. Er drehte sich nicht um, so sicher war er sich.
»Sie haben verloren, Werner!«
Weitere Kostenlose Bücher