Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
noch unmenschlicher wäre es, ihn mit diesen Schmerzen allein zu lassen.«
Nach fünf Tagen hatte Shirley den dicken Baum gefällt. Als er fiel, riß er drei kleinere Palmen mit. Das Holz krachte und splitterte, und es klang, als würden die Bäume aufschreien.
»Gratuliere«, sagte Bäcker, als Shirley am Abend in die Hütte kam. »Nun liegt er. Jetzt beginnen Sie mit dem Aushöhlen, nicht wahr? Wie lange werden Sie dafür brauchen?«
»Drei Monate.« Shirley zupfte mit einer Pinzette verbrannte Hautstückchen aus Bäckers Gesicht. Jetzt, nach sieben Tagen, verlor der zerstörte Kopf das Entsetzliche. Die Brandsalbe, so erbärmlich wenig sie auch gewesen war, hatte geholfen. Die Schwellungen und Brandblasen gingen zurück. Bäcker bekam wieder ein Gesicht, das an einen Menschen erinnerte, aber die schwarzen Pulversprengsel wuchsen in die neue Haut ein und gaben ihr ein wildes Muster. Vielleicht lebte in der so fernen Welt jemand, der diese Haut erneuern konnte, ein Schönheitschirurg, der Stück für Stück ein neues Gesicht verpflanzte. Aber daran zu denken, war jetzt überflüssig, und es war auch kein Trost.
»Wie sehe ich aus?« fragte Bäcker. »Anne weigert sich, mir einen Spiegel zu geben. Ich weiß, in der Rettungsinsel war auch ein Spiegel. Bringen Sie ihn mir, Paul.«
»Sie sehen aus wie ein Ungeheuer. Genügt Ihnen das?« Shirley blickte in die lidlosen Augen und dachte, daß man vieles in der Medizin machen konnte, sogar künstliche Herzen aus Plastik konnte man verpflanzen, aber keine Augenlider. »Wenn Ihnen so viel daran liegt, gebe ich Ihnen den Spiegel«, sagte er.
Er ging hinaus und sah Anne am Feuer sitzen. Sie kochte aus Fischen und Muscheln eine Suppe. Der Himmel fiel fast auf die Erde, eine dichte Wolkendecke schob sich vor die beginnende Nacht. Es würde wieder einen starken Regen geben. Das Wasserreservoir in der Gummiinsel würde sich wieder füllen. Der Himmel vergaß sie nicht.
»Wo haben Sie den Spiegel, Anne?« fragte Shirley.
»Er will ihn haben?«
»Ja. Sein größter Wunsch.«
»Ich habe ihn zerschlagen und die Splitter ins Meer geworfen.«
»Sie sind eine erstaunliche Frau, Anne.« Shirley tauchte einen Löffel in die Suppe und kostete sie. »Warum haben Sie bloß außer Ihrem ›Ich habe es nicht getan‹ keinen anderen Beweis, daß Sie Yul nicht umgebracht haben?«
»Wie kann jemand, der an keinen Mord denkt, Beweise gegen einen Mord sammeln?«
»Stimmt. Das ist die absurdeste Logik. Aber alles an Yuls Tod ist absurd, wenn Sie nicht die Täterin sind.«
»Warum haben Sie plötzlich Zweifel?« Anne nahm den kleinen Aluminiumtopf vom Feuer. Er reichte gerade für zwei Personen. Shirley legte sich nach dem Essen immer noch einen Fisch in die glimmende Asche; er verbrauchte jetzt an seinem Riesenstamm ungeheure Kräfte.
»Ich habe keine Zweifel, Mrs. Perkins.« Shirley trat vom Feuer zurück. Sein Gesicht lag jetzt im Schatten. »Es war nur so ein Gedanke. Ich baue das Boot und liefere Sie in Papeete ab – das ist selbstverständlich. Ich gehe jetzt zurück zu Werner. Geben Sie mir die Suppe mit.«
Nach zehn Minuten war er wieder am Feuer, der Topf war noch voll. »Er hat nichts gegessen?« fragte Anne.
»Drei Löffel. Dann kamen wieder die Schmerzen.«
»Und jetzt?«
»Er schläft.«
»Sie haben ihn wieder k.o. geschlagen?«
»Gesundbeten kann ich ihn nicht!« Er setzte sich, löffelte die Suppe, gab den Topf dann an Anne weiter und legte sich lang in den Sand. Die Wolken fielen fast ins Meer, es roch nach Regen. »Was soll aus ihm werden?«
»Was für eine Frage?«
»Sie meinen, es ist alles klar?«
»Ja.« Sie aß den Rest der Suppe und schabte den Topf dann mit Sand sauber. Der Regen in dieser Nacht gab Wasser genug, um ihn am Morgen nachzuspülen. »Wir bleiben zusammen.«
»Sie vergessen immer, daß Ihre zukünftige Heimat eine Zelle ist.«
»Wir bleiben hier auf dieser Insel.«
»Und ich, meine Liebe?«
»Sie auch, Shirley.«
»Das ist das Verrückteste, was ich gehört habe. Anne –« Er stützte sich auf seinen Ellenbogen auf. »Bäcker muß in eine Klinik! Sehen Sie das nicht ein? Gut, er überlebt es, er wird auch wieder auf die Beine kommen – aber wie kann man mit so einem zerstörten Gesicht leben?«
»Mich stört es nicht. Ich weiß, wie er früher ausgesehen hat. Er hat sein Gesicht für mich verloren!«
»Man kann ihn operieren, Anne. Ich weiß nicht, wieviel Geld er hat – aber Sie haben viel Geld! Er könnte zu den besten
Weitere Kostenlose Bücher