Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
darunter leidet.«
»Ich habe gelernt, den Menschen zu achten!« sagte Paul.
»Brav!« In Dubonnets Stimme troff dicker Spott. »Sie werden mal ein guter Kaufmann werden. Damit Sie lernen, wie man Menschen behandelt, stecke ich Sie gleich in die Verkaufsabteilung.«
Bereits nach einer Stunde saß Paul in einem großen Büro unter einem ständig kreisenden Propellerventilator und neben einer Klimaanlage, mußte Post sortieren und hörte sich dann an, wie der Abteilungsleiter für Neuseeland und Australien Briefe an die Kunden diktierte. Dubonnet machte es sichtbar Vergnügen, dabeizustehen und Paul auf einigen Listen zu zeigen, was ihn die Ware kostete und wie teuer er sie an den Kunden weiterverkaufte.
Am Abend erhielt Paul Besuch. Der Vater des Boys, dem er fünf Francs geschenkt hatte, schlich über eine Hintertreppe ins Haus und legte Paul einen gebogenen Malaiendolch auf den Tisch. Die Schneide war kunstvoll mit Bildern und Sprüchen ziseliert, die Scheide aus feinstem Ziegenleder und mit silbernen Knöpfen beschlagen.
»Was soll das?« fragte Paul.
»Ein Geschenk, Herr. Du hast meinen Sohn beschützt«, sagte der Alte. Er hatte sein bestes Gewand angezogen. »Der Dolch wird dir Glück bringen.«
»Eine Waffe bringt nie Glück, hat mein Vater gesagt.«
»Vielleicht wirst du sie einmal brauchen.« Der Alte verneigte sich. »Wir erinnern uns an dich, Herr. Erinnere du dich an uns.«
»Wer ist uns?« fragte Paul ratlos.
»Die Großen Sechs.«
»Und wer sind die Großen Sechs?«
Der Alte schien plötzlich nichts mehr zu verstehen. Er ging zur Tür und lächelte Paul an. Dann zeigte er auf den krummen Malaiendolch.
»Trag ihn immer bei dir«, sagte er. »Er ist nicht schwer, aber er wiegt doch mehr als ein Leben –«
Bevor Paul noch etwas fragen konnte, war er wieder allein.
Beim Abendessen war Dubonnet schlechter Laune. »Ihre Menschenfreundlichkeit in Ehren, Paul«, sagte er, »aber wie's geht, sollen Sie jetzt sehen: Der Boy mit dem Käse ist verschwunden. Ist einfach weggelaufen. Da haben Sie Ihre Dankbarkeit. Güte ist ein Stück Dummheit, das ist ein Spruch, den man noch vor dem Abc lernen sollte. Zum Glück gibt's genug Boys, die sich drängeln, hier anzufangen. Das nur als Illustration zu Ihren Menschlichkeitsbemühungen.«
Sie aßen herrlichen Braten und tranken französischen Rotwein, bis Paul unvermittelt fragte: »Wer sind die Großen Sechs?«
Dubonnet setzte sein Glas ab und griff nach einem neuen Stück Fleisch.
»Die Großen Sechs sind Spinner«, erklärte er. »Eine Gruppe von Revolutionären, die seit Jahrzehnten hier aus dieser Inselwelt einen eigenen Malaienstaat machen wollen. Weg von den Weißen. Und sie nennen sich die ›Großen Sechs‹, weil sie sechs Führer sind und überall verkünden: Man kann einen oder zwei oder drei von uns fangen, es bleiben immer noch die anderen! Wir sind ein Kopf! – Verrückt, was? Woher wissen Sie überhaupt von diesen Idioten?«
»Man hat im Büro darüber gesprochen.«
»Vergessen Sie es, Paul! Die Inseln hier sind seit über hundert Jahren französisch und bleiben es auch! Und ich sitze hier, das soll man nicht unterschätzen. Alle verdienen an mir, und solange das so ist, haben Revolutionäre keine Chance. Wer gräbt sich selbst das Wasser ab und verdurstet dann aus Patriotismus?«
Dubonnet lachte und vergaß sofort darauf das Thema.
Paul Bäcker aber trug von da an den gebogenen Malaiendolch am Gürtel seiner Hose. Und es war merkwürdig: wohin er auch kam, in den Hafen, auf den Markt, in irgendein Geschäft, ja sogar auf den Straßen nickte man ihm verstohlen zu oder machte ihm Platz, wenn er irgendwo warten mußte.
Vom vierten Tag an saß er jeden Abend in der Funkstation der Pflanzung und sprach mit Viktoria-Eiland, lauschte auf die Stimme seines Vaters und war glücklich, wenn er seine Mutter sagen hörte: »Paß gut auf dich auf, mein Liebling …«
Hinterher war er immer wie verstört. Er hatte Sehnsucht nach Anne, und wenn er an sie dachte, nannte er sie ›Anne‹ und nicht ›Mutter‹.
Es war ein Gefühl, mit dem er nicht fertig wurde.
Die Eingeborenen kamen nicht wieder, zumindest nicht mit ihren Kriegskanus. Es war, als holten sie Luft und warteten ab, was die Götter nun mit den Weißen auf der Toteninsel machten.
Zehn Tage nach seiner Rückkehr auf die zerstörte Insel sah Bäcker an frischen Toten, die neben den Götzen gelegt worden waren, daß die dunklen Totenkanus heimlich auf der anderen Inselseite gelandet
Weitere Kostenlose Bücher