Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
waren. Die geköpften Strohpuppen hatten die Eingeborenen dem Totem um den Bauch gebunden, und Bäcker sagte:
»Die Sache wird kritisch, Anne. Wir liegen jetzt im Bauch des Gottes, er hat uns also gefressen. Wenn das Jahr jetzt normal herumgeht, kein außergewöhnlicher Taifun rast, der Sommer nicht zu trocken wird oder wenn keine anderen Katastrophen eintreten, können wir ruhig schlafen. Aber wehe, die Natur spielt verrückt. Dann hat uns der Gott ausgespuckt, bestraft die Menschen, und alles geht wieder von vorne los!«
Sie schufteten wie damals, als sie zum erstenmal Viktoria-Eiland dem Meer, der Sonne und dem Wind abrangen. Bäcker lötete die Löcher im Wasserturm, verscharrte die Tierkadaver, legte neue Leitungen, und da die Eingeborenen mit dem Stromaggregat nichts anzufangen gewußt und es unversehrt gelassen hatten, gelang der Aufbau schneller als erwartet.
Als wieder ein Dach über dem ausgebrannten Haus lag, notdürftig, ein paar Balken mit Zeltplanen darüber, sagte Bäcker: »Anne, ich muß dich etwas fragen. Setz dich zu mir.«
Sie kam vom Feuer, wischte sich die Haare aus der Stirn und lachte. Die Hitze hatte ihr Gesicht gerötet, sie roch nach Gulaschsuppe, und sie trug enge Shorts und einen geblümten Büstenhalter. Ich werde dieses Wunder von Frau nie begreifen, dachte Bäcker. Klaglos kämpft sie seit zwanzig Jahren an meiner Seite gegen alles, was einen Menschen nur angreifen kann, und sie bleibt immer so stark, daß ich mich an ihr aufrichten kann. Sehen so Engel aus …?
»Probleme, Liebling?« fragte Anne und setzte sich neben Bäcker auf die rohgezimmerte Bank.
»Was wirst du tun, wenn ich einmal nicht mehr bin?« fragte er.
Sie sprang sofort auf und wollte wieder gehen, aber er hielt sie am Arm fest.
»Auf so einen Blödsinn antworte ich nicht!« sagte sie laut.
»Anne, ich bin jetzt fünfundfünfzig Jahre. Ein halber Krüppel …«
»Wenn du weiterredest, schütte ich dir die heiße Suppe über den Kopf, dann bist du ein ganzer Krüppel!« sagte sie heftig.
»Es ist gut, Anne, es ist gut.« Er ließ sie los und sah ihr nach, wie sie zur Feuerstelle ging und im Kessel rührte. Erst in der Nacht, auf einem Bett aus Palmenblättern, so wie sie angefangen hatten, sprachen sie weiter darüber. Und es war Anne, die damit anfing.
»Warum hast du das gefragt?« sagte sie. Sie lag in seinen Armen, und es war unzählbar, wie oft sie so schon eingeschlafen war. Erschöpft von einem Tag, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nur Arbeit gewesen war.
»Wir haben noch nie darüber gesprochen, Anne.«
»Und jetzt ist es nötig?«
»Unser Paradies hat sich verändert. Anne, Paul ist in Sicherheit. Und Paul braucht dich mehr als mich.«
»Schick mich bloß nicht weg!« sagte sie. »Ich gehe doch nicht.«
Er streckte sich, und sie legte ihren Kopf auf seine Brust und lauschte auf das Klopfen seines Herzens. Es war gleichmäßig und stark. Nein, krank ist er nicht, dachte sie. Sie streichelte seinen Leib und ging ganz in dem Glücksgefühl auf, bei ihm zu sein.
»Ich glaube, ich habe all die Jahre für einen Irrtum gelebt«, sagte Bäcker langsam. »Wir haben Viktoria-Eiland geschaffen, aber eigentlich habe ich das alles nur für mich getan. Ich wollte hier leben, und du hast das ertragen, und als das Kind kam, war dieses Leben hier keine Frage mehr. Aber wenn ich einmal nicht mehr bin, ist diese Insel für euch kein Platz mehr. Eine Insel ohne Wasser! Eine Toteninsel! Das habe ich euch zugemutet. Ich bin ein verdammter Egoist. Versprich mir, Anne, daß ihr, Paul und du, nach meinem Tode die Insel verlaßt. Versprich es.«
»Da müssen wir Paul erst fragen, Werner.«
»Er wird immer tun, was du willst, Anne.«
»Dann bleiben wir.«
»Anne!« Er faßte sie an den Schultern und zog sie zu sich hoch. »Bitte …«
»Es ist dumm, davon zu sprechen, aber wenn du es hören willst: ich bleibe da, wo auch du bist«, sagte sie. In der Dunkelheit sah er noch den Glanz ihrer Augen. »Ich lasse dich auch im Grab nicht allein.«
»Dann verlaß die Insel sofort nach meinem Tod, und nimm mich mit, Anne. Ich will nicht, daß du mit Paul hier weiterlebst.«
»Und wenn ich vor dir sterbe?« fragte sie.
»Das ist unmöglich.« Er drückte sie so fest an sich, daß sie nach Luft rang. »Das ist undenkbar. Anne, das darf einfach nicht sein. Was bin ich ohne dich …«
»Immer ein Egoist.« Sie lachte, küßte seine lidlosen Augen und ließ sich zur Seite fallen. »Schlaf jetzt. Wir müssen morgen
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