Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Hut. In seiner Begleitung war ein junger, schlanker, dunkelhäutiger Papua gekommen, der aber an Bord blieb.
Anne, die oben auf der Terrasse saß und eine Ente rupfte, streckte die Hand aus und zog an dem Glockenseil. Die Schiffsglocke aus dickem Messing, die neben der Haustür hing, hallte weit über die stille Insel. Paul, der auf einem der neuangelegten Felder arbeitete, lief zum Hang, das Gewehr schußbereit in den Händen.
»Das ist die richtige Begrüßung für einen Gottesmann!« rief es vom Strand herauf. »Man läutet die Glocken! Wer hätte das hier vermutet? Darf ich näher kommen, Madame Bäcker?«
Anne stieg die in den Hang gehauenen Stufen hinab zum Strand. Der Mann in der weißen Soutane setzte seinen breiten Hut auf und stapfte durch den Korallensand. Er schielte dabei hinauf zur Böschung, wo Paul vor einer der drei gebogenen, hohen stolzen Palmen stand, dem Wahrzeichen von Viktoria-Eiland.
»Er sieht aus wie Tarzan«, sagte der Mann. »Sie haben einen prachtvollen Sohn, Madame.«
Anne blieb stehen. Ihre großen dunklen Augen bekamen einen abweisenden Blick, aber der Mann schien auch keine Freudenausbrüche über sein Erscheinen erwartet zu haben.
»Pater Pierre – nehme ich an«, sagte Anne kühl. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Hat Paul Sie gebeten, herzukommen?«
»Die Bäckers haben keinen Priester nötig … das hat Ihr Mann einmal zu mir gesagt.« Pater Pierre gab Anne die Hand, aber als sie ihm die Finger wieder entziehen wollte, hielt er sie fest. »Wir leben mit Gott unter einem Dach, hat er gesagt. Ich habe einen vorzüglichen Kontakt zu ihm. – Das war vor drei Jahren, Madame. Ich bin seitdem des öfteren um Ihre Insel herumgefahren, aber nie gelandet.«
»Und warum landen Sie jetzt, Pater Pierre?«
Es klang mehr als abweisend.
»Wissen Sie, ich lebe jetzt seit fünfzehn Jahren auf dem Atoll Katatoki. Gegen die Bäckers bin ich zwar ein Neubürger, aber ich habe in diesen fünfzehn von Gott gesegneten Jahren eine kleine Christengemeinde aufgebaut, achthundertzweiundfünfzig Seelen, im Vergleich zu zwei Milliarden Heiden nur ein Staubkorn unter den Menschen, aber ich bin glücklich. Wir haben eine Bambuskirche, eine kleine Glocke, ein Harmonium, ein Kreuz.«
»Und warum erzählen Sie mir das alles, Pater?«
Sie gingen die Treppe hinauf. Paul hatte sein Gewehr an die Palme gelehnt und streckte Pater Pierre die Hand entgegen. Er hatte ihn zum erstenmal gesehen, als er neun Jahre alt war. Damals baute der Pater mit den ersten vier bekehrten Papuas seine kleine Kirche auf Katatoki.
»Er ist ein Riese geworden«, sagte Pater Pierre anerkennend und rieb sich die Hand. Pauls Händedruck war wie eine Presse. Dann fächelte er sich mit dem Strohhut Luft zu und setzte sich an den Tisch vor das Haus.
»Ja, warum bin ich hier? Eigentlich ohne Grund, Madame. Ich wollte einfach mal nach Ihnen sehen.«
»Seit wann dürfen Priester lügen?« fragte Anne. »Schickt Brissier Sie? Oder der Gouverneur? Bevor Sie anfangen zu predigen, Pater: Ich verlasse diese Insel nie mehr!«
»Darüber wollen wir auch gar nicht reden, Madame.« Pater Pierre griff in die Tasche seiner Soutane und zögerte. »Vor drei Tagen kam ein Papua zu mir, ein neuer Christ. Er betete und gab mir etwas. Ich habe mir den Weg zu Ihnen lange überlegt, aber dann glaubte ich, daß es gut sei, nach Viktoria-Eiland zu fahren. Kennen Sie das?«
Er legte einen schmalen Goldring auf den Tisch. Anne zuckte zusammen, dann saß sie wieder wie versteinert.
»Werners Ehering …«, sagte sie tonlos.
»Ich dachte es mir. In die Innenseite ist das Wort ANNE eingraviert. Weiter nichts.«
»Für Werner war das alles –«, sagte Anne leise. Sie nahm den Ring, streifte ihn über ihren rechten Ringfinger, und da er viel zu groß war, legte sie die andere Hand darüber. »Ich danke Ihnen, Pater.« Sie senkte den Kopf und holte tief Atem. Es war ungeheuer schwer, alles, was jetzt in ihr aufbrach, zu unterdrücken. »Ist … ist das alles, was von Werner übriggeblieben ist? Wie ist er gestorben? Sie wissen es, Pater. Sagen Sie es mir. Mein Sohn weigert sich, darüber zu sprechen. Aber ich bin stark genug, alles zu ertragen …«
Pater Pierre warf Paul einen schnellen Blick zu. Der schüttelte unmerklich den Kopf.
»Darüber schweigen die Eingeborenen«, sagte Pater Pierre und hoffte, daß Gott ihm die Flut von Lügen verzeihen möge, denn es waren gute, gnädige Lügen. »Sie brachten mir nur den Ring.« Er trank einen tiefen
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