Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
dem Bauch, verborgen im Bambus, und sah seiner Mutter zu, wie sie nackt im Meer stand, ihre Brüste, den Leib und die Schenkel wusch, ein paarmal hin und her schwamm, dann aus dem Wasser stieg, schlank und ergreifend schön durch den weißen Sand am Ufer lief, sich der Sonne entgegenreckte, und dann zum Haus zurückkam, umweht von den langen, seidigen Haaren … eine Nacktheit voll solch heißer Ausstrahlung, daß Paul beschämt, sich verfluchend, sich einen Schuft nennend, das Gesicht in den Boden drückte, die Fäuste ballte und die Hitze, die in ihm zu wüten begann, bekämpfte. Es war ein kläglicher Kampf, und er verlor ihn immer.
Er blieb dann im Bambus liegen, bis er sich völlig beruhigt hatte, sein Atem wieder glatt ging und er den Schock überwunden hatte, seine eigene Mutter nicht als Mutter, sondern als Frau angesehen zu haben, die man heimlich begehren durfte. Das war für ihn so ungeheuerlich, daß er Anne beim Frühstück nicht anzublicken wagte, sondern sein Essen hinunterschlang und dann schnell wieder im Wald verschwand, um Bäume zu fällen. An ihnen ließ er seine Wut über sich selbst aus … und träumte dabei von Tara und sah seine Mutter vor sich, und beide verschmolzen miteinander zu jener Frau, nach der er sich in Sehnsucht verzehrte. Es war ein Zustand, von dem Paul nicht wußte, wie er ihn jemals überwinden sollte.
Am zehnten Tag nach dem Besuch von Pater Pierre auf Viktoria-Eiland färbte sich das Meer zuerst grün, dann grauviolett und wurde unruhig, obgleich es fast windstill war. Weiße Schaumkronen tanzten auf den merkwürdig spitzen Wellen, der Himmel verwandelte sich in einen riesigen fahlgelben Fleck, der die Sonne aufsaugte, als sei er ein ausgespanntes, unendliches Löschblatt.
Die Luft blieb stehen. Das Atmen wurde plötzlich zur Qual. Das himmlische Löschblatt saugte auch den Sauerstoff auf.
Anne und Paul standen vor dem Haus und starrten über das Meer. Sie hatten schon viele Stürme erlebt, hatten Taifune überstanden, die haushohe Wellen bis an den Hang trieben, hatten die Welt in Wasser und Wind untergehen und sie wiederauferstehen sehen in strahlendem Sonnenschein. Aber was heute mit dem Meer geschah, mit dem Himmel, der kein Himmel mehr war, mit der Sonne, die auseinanderfloß, mit der Luft, die so dünn wurde, daß die Lungen sich schmerzvoll blähten, das hatten sie noch nicht erlebt und es wurde ihnen unheimlich.
»So muß es aussehen, wenn die Welt untergeht«, sagte Anne.
»Vielleicht geht sie unter«, erwiderte Paul. Er sah sich um. Alles sah plötzlich anders aus, fremd, unbekannt.
»Verdammt, sieh dir das an, Mutter. Alle Farben sind wie verwaschen. Die Bäume sind nicht mehr grün, der Sand nicht mehr gelb …«
Er legte den Arm um die Schulter seiner Mutter und wartete. Mehr konnte er nicht tun. Sie atmeten mühsam und sehnten den ersten Windstoß herbei, der den Sturm einleitete und neuen Sauerstoff brachte. Der Sturm, gegen den man kämpfen konnte. Alles war besser als diese drückende, dumpfe Schwüle.
Und dann traf es sie wie mit einem riesigen Hammer. Aus dem Nichts, aus dieser gelbgrauen Kuppel, die einmal der Himmel war, schlug der Sturm mit einem wilden Aufbrüllen auf sie ein. Die Palmen bogen sich, der Bambuswald wurde zerfetzt, das Dach von Pauls Hütte wirbelte hoch, der Wasserturm knickte zusammen, und das Meer türmte sich auf, rollte heran wie eine riesige Wand und begrub die Felsenriffe unter sich. Ein anhaltendes, unerklärliches, aus der Tiefe hervorquellendes Grollen begleitete die Sintflut.
»Mein Gott …«, stammelte Anne. »Paul, mein Gott … wir werden ertrinken! Das Meer verschlingt die ganze Insel!«
»Halt dich fest, Mutter!« brüllte Paul. Er riß Anne mit sich, schleppte sich hinters Haus zu der großen starken Palme, der stolzesten von Viktoria-Eiland, zu der damals vor zwanzig Jahren Werner Bäcker vom Strand hinaufgeblickt hatte, hilflos mit seinem zerschmetterten Bein, und gesagt hatte: »Ich komme zu dir, du stolzes Aas da oben! Warte nur! Ich werde deinen Stamm umarmen! Ich sterbe nicht unter dir, du stolze Palme …«
Jetzt war sie das Festeste, was die Insel zu bieten hatte, und Paul band seine Mutter mit dicken Schiffstauen an dem Stamm fest.
Der Sturm prallte gegen ihn und trommelte auf seinen Körper, er konnte sich kaum aufrecht halten, aber es gelang ihm doch, das Seil wieder und wieder um den Körper seiner Mutter zu schlingen. Dann warf er sich hin, umklammerte einen Baumstumpf und zuckte zusammen, als
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