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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf das MG und weinte.
    Eine Bewegung vor ihm ließ ihn hochzucken. Im Kanu standen sich der alte Häuptling und der Medizinmann gegenüber. Der Alte hatte den Dolch aus der verzierten Lederscheide gezogen und hielt ihn jetzt der Sonne entgegen. Der Medizinmann hatte seine Arme ausgebreitet und betete laut alles an, was zwischen Meer und Himmel lag … die Unendlichkeit, die Unbegreifbarkeit des Todes.
    Dann geschah es so plötzlich, daß Pauls Aufschrei zu spät kam. Mit größter Wucht stieß der alte Mann den Dolch in die zur Sonne gewölbte Brust des Medizinmannes, zog ihn wieder heraus und zeigte Paul die blutige Schneide.
    Als sei er nicht zu Tode getroffen, blieb der Medizinmann stehen, ein unheimlicher, unbegreiflicher Anblick. Dann kippte er plötzlich um, wie ein Baum, den man gefällt hat. Er fiel über die Kante des Kanus ins Meer, die Maske löste sich beim Aufprall auf die Wasseroberfläche, das Gesicht wurde frei … ein junges, glattes, schönes, im Tode ruhiges, ja seliges Gesicht tauchte in die See.
    Von drei Seiten schossen die Haie heran.
    Paul warf sich herum, schlug beide Hände vor die Augen und kroch in sich zusammen. Es gibt ein Grauen, das jedes Rachegefühl erstickt.
    Er hatte noch immer das Gesicht in seine Hände vergraben, als er neben sich einen Gegenstand ins Boot fallen hörte. Er brauchte nicht hinzusehen, er wußte, was es war.
    »Verschone mein Volk –«, sagte der alte Mann. Dann hörte Paul nur noch das Einstechen des Paddels in das Meer, ein Geräusch, das sich schnell entfernte und eine entsetzliche Stille zurückließ.
    Eine ganze Zeit blieb Paul regungslos sitzen, ehe er die Hände von den Augen nahm.
    Der Körper des Medizinmannes war verschwunden. Nur seine hölzerne Maske mit den riesigen Glotzaugen schwamm in der flachen Dünung. Mit zitternden Händen warf Paul den Motor an. Vor seinen Füßen lag der Malaiendolch. Er stak wieder in der Scheide, aber Paul wußte, daß die Schneide nicht abgewischt worden war und das Blut des Geopferten wie eine Quittung an ihr klebte.
    Er gab Vollgas und raste zurück nach Viktoria-Eiland. Das Grauen lag noch immer wie Eis in ihm, aber je näher er seiner Insel kam – und sie war jetzt seine Insel, denn sein Vater würde durch ihn weiterleben –, um so mehr wuchs die Angst, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen.
    Er landete in der Todesbucht von Viktoria-Eiland, unbemerkt, lautlos. Es war Nacht. Der Mondschein lag auf dem großen Götzen, die blutroten Riesenaugen und der aufgerissene Rachen schienen voller Leben zu sein.
    Paul Bäcker stapfte durch die Gerippe, das Maschinengewehr trug er auf der Schulter. Fünf Meter vor dem Totem blieb er stehen, setzte das MG ab und starrte das Götterbild an.
    »Ich vernichte dich!« sagte Paul kalt. »Ja, ich vernichte dich. Mein Vater hat dich zwanzig Jahre lang geduldet, und er ist doch an dir zugrunde gegangen. Ich aber nehme den Kampf auf und dulde dich nicht länger! Wer ist nun stärker, du oder ich? Wir werden es sehen.«
    Er kniete sich hinter das MG, zog den Abzug durch und schoß Garbe um Garbe in die grinsende, hölzerne Fratze. Er hörte erst auf, als er Anne durch die Palisadentür kommen sah. Wie ein Geist schritt sie durch den Mondschein, starr, blutleer, im fahlen Licht schwebend.
    »Mutter –«, stammelte Paul.
    Anne blieb stehen. Sie hob den rechten Arm. In der Hand hielt sie eine lange Axt.
    »Ich helfe dir, mein Junge«, sagte sie ruhig.
    Beim Morgengrauen war der Götze zerstört. Umgestürzt, zerhackt lag er zwischen den bleichen Skeletten. Ein unbarmherziger Kampf hatte begonnen.

X
    Zunächst aber blieb es still. Es war, als warteten die entsetzten Papuas auf die Rache der Götter. Gleich am nächsten Tag hatten sie einen Toten auf die Insel gebracht, und Paul, der am Rande des Begräbnisplatzes oben in einer Palmenkrone saß, hatte beobachtet, wie die Eingeborenen sprachlos vor ihrem zerstörten Totem standen. Für sie mußte in diesem Augenblick die gesamte Götterwelt in Trümmer zerfallen sein. Sie blickten um sich, als könnten sie es nicht fassen, daß die Insel dem Fluch der Götter noch nicht zum Opfer gefallen war.
    Die sechs Männer, die den Toten abgeladen hatten, richteten den umgestürzten Götzen wieder auf. Es war nur noch ein Torso, ein Holzklotz ohne Kopf, und selbst dieser armselige Rumpf war kreuz und quer zerhackt. Mit einer Kraft, die etwas Unnatürliches hatte, war Anne mit der Axt über dieses Stück hergefallen und hatte wieder und wieder

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