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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zugeschlagen, mit jedem Hieb Bäckers Namen schreiend, bis Paul ihr die Axt mit Gewalt aus den Händen wand und sagte:
    »Es ist genug, Mutter. Ruh dich aus.«
    Später saß sie auf der Bank am Hang, starrte über das sonnenglänzende Meer und den flimmernden Glast der Hitze, hatte die Hände im Schoß gefaltet und wartete darauf, daß Paul berichtete, was er auf Vahua Oa gesehen hatte. Aber Paul sagte nichts … es war unmöglich, Anne vom Tod seines Vaters zu berichten.
    Den ganzen Tag sprach Anne kein Wort, saß nur auf der Bank und blickte übers Meer. Paul schoß eine Ente für das Abendessen, füllte den reparierten Wassertank mit dem aufgefangenen Regenwasser nach und vermied es, in die Nähe Annes zu kommen. Am Abend aber ließ es sich nicht mehr vermeiden. Nach dem stummen Essen sah Anne ihren Sohn mit entsetzlich leeren Augen an.
    »Es hat keinen Sinn, vor mir wegzulaufen, Paul«, sagte sie.
    Paul senkte den Kopf. »Mutter, bitte, frag mich nicht …«, antwortete er. »Bitte …«
    »Du hast seine Mörder gefunden?«
    »Ja, Mutter.«
    »Sie leben noch?«
    »Nein, Mutter.«
    »Und das Schiff?«
    »Wir haben nur noch das Beiboot und den kleinen Funkapparat. Zehn Tonnen mit Lebensmitteln und zwanzig Kanister Benzin.«
    »Hast du die Stelle gesehen, wo … wo …«
    Sie konnte nicht weitersprechen. Paul nickte.
    »Ja, Mutter.«
    »Fahr mich hin. Ich möchte sie auch sehen.«
    »Unmöglich, Mutter!«
    »Bei deinem Vater gab es kein Unmöglich! Und bei mir gibt es dieses Wort auch nicht. Wann fahren wir? Morgen früh?«
    »Überhaupt nicht, Mutter. Wir haben den Götzen zerstört … die ganze Südsee ist in Aufruhr. Von Vahua Oa werden sie es von Insel zu Insel melden, und es wird keinen Menschen mehr im Umkreis von Hunderten von Meilen geben, der nicht aufgerufen ist, an uns die Götter zu rächen.«
    Anne schwieg wieder, aber Paul ahnte, was sie dachte. Bevor er sich schlafen legte, traf er seine Vorsichtsmaßnahmen. Er brachte das Beiboot hinaus zwischen die Klippen der dunklen Felsen, dorthin, wo Anne es nicht wegholen konnte. Selbst Paul vollführte gefährliche Kletterkunststücke über schroffe, glatte Felsvorsprünge und gischtumsprühte Steinplatten, um wieder an Land zu kommen. Wie unbeschreiblich muß sie Vater geliebt haben, um jetzt diese Kraft des Hasses und der Rache zu haben, dachte er. Wenn sie könnte, würde sie alle Inseln um uns herum ausrotten. Aber hätte das einen Sinn? Wäre es in Vaters Sinn? Er hat die Menschen geliebt, auch die, die ihn dann den Haien vorwarfen.
    In der Nacht wachte er auf. Ein unerklärliches Gefühl ließ ihn hochfahren. Anne saß an seinem Bett.
    »Du hast das Boot versteckt –«, sagte sie ruhig.
    »Ja, Mutter.« Er setzte sich auf. »Ich wußte, daß du es suchen würdest.« Er griff nach ihren Händen, sie waren eiskalt, wie durchfrosteter Stein. »Morgen rufe ich mit dem Funkgerät Papeete. Wir erklären uns bereit, Viktoria-Eiland zu räumen.«
    »Nie, Paul, nie!«
    »Wir haben keine Chance mehr, Mutter. Ohne Vater …«
    »Du bist da, Paul. Und du bist ein Mann geworden.« Anne starrte geradeaus gegen die Hüttenwand. Sie wirkte wie eine Statue, aus der wie auf geheimnisvollen Wegen menschliche Worte drangen. »Wenn Vater hier gestorben wäre … wir hätten die Insel verlassen und ihn mitgenommen. Aber jetzt, mein Junge, jetzt bringt mich niemand von hier weg. Niemand!«
    »Wir haben viel Zeit, uns das zu überlegen«, sagte Paul. »Schlaf jetzt, Mutter.«
    »Hast du Angst, Paul?« fragte sie und stand auf.
    »Nein. Aber es war ein Fehler, den Götzen zu zerstören.«
    »Wir wurden durch etwas in uns gezwungen, es zu tun. Verstehst du das?«
    »Ja, Mutter.«
    Er streckte sich aus und schloß die Augen. Lautlos wie ein Geist verließ Anne die Hütte. Paul stieg leise aus dem Bett und schlich ihr nach. Sie ging hinunter zum Meer und stand dort in der kalten Dunkelheit, unbeweglich, mit geballten Fäusten.
    Sie kann Vaters Tod nie verwinden, dachte Paul. Sie hat mit dem Leben abgeschlossen. Daß sie noch atmet, ist ein rein biologischer Vorgang.
    Mein Gott, wir müssen alles versuchen, um sie von dieser Insel zu schaffen. Die vergangenen zwanzig Jahre müssen wir irgendwie ausradieren. Sie kommt um in ihrem Schmerz. Sie verhärtet hier zu Stein.
    Fünf Tage später landete ein altes Motorboot in der Lagune. Ein Mann mit einem weißen Bart und in einer bodenlangen, weißen Soutane kletterte an den Strand und schwenkte einen breiten aus Palmstroh geflochtenen

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