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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die erste Flutwelle gegen den Hang donnerte.
    Die Insel schien zu schwanken. Als sei sie ein Schiff und hänge nur an einer Kette, so knarrte und knirschte es in ihrem Inneren.
    »Das Meer reißt uns los!« schrie Anne. Und dann, überwältigt von Angst, begann sie zu schreien. Sie stand an dem Baum gefesselt, vom Wind geschlagen, vom strömenden Regen ausgepeitscht, ihr langes Haar schlang sich um den rissigen Stamm und fesselte nun auch ihren Kopf. Paul lag drei Meter von ihr entfernt. Er konnte ihr nicht mehr helfen. Unter ihm, in der Tiefe der Erde, knirschte es, als würden Meer und Wind die Insel aus ihrer Verankerung reißen.
    Das Haus brach zusammen, als sei es aus Papier. Die Felder ertranken. Was in zwanzig Jahren mühsam geschaffen worden war, zerstampfte der Sturm, begruben entwurzelte Bäume, schwemmte die Flut hinweg.
    Das Meer hatte sich wirklich gehoben. Es gab keinen Strand mehr, keine Buchten, keine Lagune … das Meer rollte brüllend gegen die Böschung und fraß sich mit jedem Schlag tiefer ins Land hinein.
    Der Himmel hatte sich wieder verändert … er war jetzt schwefelgelb, streifig, ein riesiges Maul, das das Meer aufsaugen wollte.
    Einen Augenblick war Stille, nur das Meer dröhnte, aber der Wind schien den Atem anzuhalten. Anne wandte den Kopf zu ihrem Sohn. Er lag hinter dem Baumstumpf, umarmte ihn und preßte sich gegen die Erde.
    »Paul!« schrie Anne gegen das Meer an. »Paul …«
    »Ja, Mutter?«
    »Wenn wir es überleben, ich schwöre es dir … verlassen wir die Insel!«
    »Wir werden es überleben, Mutter! Bis zu uns kommt das Meer nicht …«, schrie er zurück.
    Die Antwort gab der Sturm, nicht das Meer. Nach diesem letzten Atemholen war es, als löse sich alles, was noch Form besaß, auf … mit einem einzigen gewaltigen Schlag zerdrückte der Taifun die Insel Viktoria-Eiland. Was von dem Palmenwald noch übriggeblieben war, knickte um wie ein Strohhalm. Die Stämme wurden abgedreht; mit einem grellen Kreischen schleuderte der Sturmkreisel die Palmen nach allen Richtungen.
    Paul, an die Erde gedrückt, von der Faust des Sturmes niedergehalten, begriff erst nach mehrmaligem Hochducken des Kopfes, daß die Palme neben ihm, an die er seine Mutter gebunden hatte, aus dem Boden gerissen worden war. Der stärkste Baum der Insel trieb aufrecht, mit zerfetzter Krone, dem Meer zu.
    Es war ein grauenhaftes, unbegreifliches, durch seine wilde Schrecklichkeit lähmendes Bild.
    Anne hing noch an dem Stamm, unrettbar festgebunden. Ihre nassen Haare waren die zweite Fessel, die sie mit dem Baum verband, ihr Kleid hatte der Wind weggerissen, nackt klebte sie an der Palme, und eine Riesenhand trug sie über die Trümmer der Insel zur Böschung und zu dem schäumenden, brüllenden, entfesselten Meer.
    Paul wollte aufspringen, aber ein herumwirbelnder Ast schlug ihn zurück. »Mutter!« heulte er. »Mutter!«
    Er kroch dem Meer zu und sah mit vor Grauen geweiteten Augen, wie der Sturm die Palme ins Meer schleuderte. Der Stamm tauchte ins Wasser, drehte sich, hob den kleinen, hilflosen, nackten Menschen noch einmal nach oben, die Wellen schlugen auf Anne ein, zerhieben den zarten Körper, dann riß der Stamm sie in donnernde Abgründe und schleuderte sie hinaus in die tobende Unendlichkeit.
    Schreiend vor Schmerz und Grauen, kroch Paul Bäcker vorwärts, und es gelang ihm, bis an den Rand der Böschung zu kommen. Das Meer sprühte über ihn, er krallte sich in die Erde und wartete darauf, daß eine Woge ihn in die Tiefe riß. Aber weder Sturm noch Meer wollten ihn – sie hatten Anne, und das war ihnen genug.
    Noch einmal sah Paul den großen Palmenstamm … er wurde von einer breiten schäumenden Welle fast bis in den gelben Himmel geworfen, und ein weißer Fleck hing an ihm, der aufzuleuchten schien, bevor er wieder – und dieses Mal für immer – in einem Wellental versank. Die Insel bebte, als sich der Wasserrachen schloß.
    »Mutter!« brüllte Paul noch einmal. »Mutter! Mutter!« Dann lag er auf der Erde, weinte in den schwammigen Boden, hieb mit den Fäusten in sinnloser Verzweiflung um sich und begriff nicht, warum ein Mensch, der einen solchen Schmerz erleidet, nicht an diesem Schmerz auseinanderbricht. Er wartete darauf, daß sein Herz zerplatzte. Aber ein Mensch kann mehr aushalten, als er will.
    Das bohrende, knirschende Geräusch war wieder unter ihm, tief in der Erde. Das Meer schäumte auf, als koche es. In der Tiefe schienen Vulkane auszubrechen. Die Insel schwankte. Wo das Haus

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