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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Luedemann
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Religion Jesu auf heidnisches Territorium und bewirkte, |61| ohne es wirklich zu wollen, die andauernde Trennung zwischen Kirche und Israel.
    Damit ist zugleich die tragische Seite seines Werkes angesprochen. Der christliche Antijudaismus auf heidnischem Boden hat
     entscheidende Anstöße von Paulus empfangen und verheerende Wirkung gezeitigt. Ohne Paulus und seine Schüler wäre das Judentum
     nicht an den Abgrund geführt worden.

|62| LUTHER UND CALVIN
    14. Aus dem christologischen Tollhaus befreit 1
    Die frühen Christen glaubten, dass Jesus von Nazareth der von Gott gesandte Messias (»Christus«) ist, an dem sich Heil und
     Unheil entscheiden. Sie bezogen sich dabei auf die heiligen Schriften des sog. Alten Testaments, und zwar nicht nur auf die
     darin enthaltenen ausdrücklichen Verheißungen, sondern auch auf alle anderen Worte. Diese seien für sie selbst geschrieben,
     »zur Warnung« oder »zur Lehre«. Jesus persönlich, so erzählte man sich, hatte über die Schriften gesagt: »Sie legen Zeugnis
     von mir ab.« Während der Wanderung durch die Wüste soll er die Israeliten als geistlicher Fels begleitet haben. Er galt als
     der eigentliche Sprecher vieler Psalmen, sein Geist sei in den Propheten des Alten Testaments anwesend gewesen. Als den im
     Himmel beheimateten Sohn Gottes fanden die frühen Christen Jesus sogar in der Schöpfungserzählung wieder: Durch ihn als das
     »Wort« habe Gott alles geschaffen. Kundige Theologen leiteten Jesu gesamtes Auftreten vom Alten Testament her und »bewiesen«
     die Einzelheiten seines Lebens – Jungfrauengeburt, Leiden, Tod, Auferstehung – sowie die erhofften Zukunftsereignisse – Wiederkunft
     Jesu auf den Wolken des Himmels, Gericht, ewiges Leben – aus der Schrift.
    Katholische Bischöfe stellten seit dem zweiten Jahrhundert aus frühchristlichen Schriften das Neue Testament zusammen. Weil
     das Alte Testament darin auf vielfältige Weise aufgenommen wurde, blieb es für immer ein christliches Buch. Auch Martin Luther
     setzte das voraus und übernahm den »Schriftbeweis« der frühen Christen. |63| Das stärkste Motiv seiner Auslegung war der vermeintlich direkte Bezug des Alten Testaments auf Jesus Christus. Dieser habe
     es durch sein Kommen erfüllt. Deswegen richten sich die alttestamentlichen Texte, meinte Luther, als Predigt über Christus
     direkt an die Gläubigen. Die schlichte sprachliche Gestalt des Alten Testaments entspreche der Tatsache, dass Gott mit ihm
     die Demütigen und Kleinen suche. Sie passt, meinte Luther weiter, zur »Knechts gestalt « des neutestamentlichen Wortes über Christus.
    Unter Berufung auf den eindeutigen Wortsinn der Bibel hatte der Reformator den Kampf gegen das päpstliche Lehramt aufgenommen,
     überzeugt, seine eigenen exegetischen Ergebnisse seien identisch mit der »Sache« der Schrift, Jesus Christus. Luther machte
     die Bibel zur Norm aller theologischen Aussagen und setzte sich schon früh für die alleinige Verbindlichkeit ihres wörtlichen
     Sinns ein. Für ihn beruht der Glaube auf »Geschichte«, und die Auslegung des Alten Testaments durch die neutestamentlichen
     Verfasser sei nichts anderes als die Wiedergabe der ursprünglichen Absicht der alttestamentlichen Autoren. Dieses christliche
     Verständnis des Alten Testaments sicherte er durch philologische und historische Argumentation ab; die Frage der korrekten
     Übersetzung erhielt einen Schwerpunkt. Da die Schrift die einzige Autorität war, kam alles darauf an, dass sie einen festen,
     eindeutigen Sinn hatte. Allegorese – die Suche nach einem jenseits des Textes liegenden Sinn – lehnte Luther ab; sie zerstöre
     die wahre Geschichte und mache die Schrift zu einem »zerrissenen Netz«.
    Luther hat innerhalb des Protestantismus langfristig den Weg zur historischen Kritik der Bibel gewiesen und den richtigen
     Schritt nach vorne getan. Doch war sein Bemühen, den wörtlichen Sinn der Schrift, die reale Geschichte herauszufinden, eng
     mit einem mythologischen Weltbild verbunden, das ihn wieder zwei Schritte zurück gehen ließ. Er bleibt uns deshalb fremd,
     ebenso wie die neutestamentlichen Autoren auch. Sie und der Reformator lesen allesamt in die Texte des Alten Testaments, ohne
     Kontrolle an der historischen Wirklichkeit, ihren eigenen Glauben hinein. |64| Dieser Missbrauch hält bis heute an, wie aus zwei Beispielen hervorgeht:
    a) Das Alte Testament habe im Buch Jesaja, Kapitel 52–53 (»Für wahr , er trug unsere Krankheit …«)

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