Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
sitzen zu bleiben. Wir scheinen die Veränderung ebenso zu brauchen wie die Luft zum Atmen, weil sonst sowohl unser Geist als auch unser Körper zu verkümmern drohen. Hirnströme von Reiselustigen zeigen, dass eine Ortsveränderung die Hirnzellen stimuliert und dafür sorgt, dass man sich wohlfühlt und einen Sinn in seinem Leben erkennt. Wenn ich zu lange an einem Ort bleibe, werde ich müde, gereizt und apathisch. Doch sobald ich unterwegs bin, fühle ich mich inspiriert, bin aktiv, offen und viel toleranter als sonst. Chatwin sagt, dass Reisen nicht nur den Horizont erweitert, sondern ihn überhaupt erst erschafft. Ohne die Gefahren, die das Reisen mit sich bringt, erfinden wir Fantasiefeinde, psychosomatische Erkrankungen, Steuereintreiber und, was am allerschlimmsten ist, uns selbst. Adrenalin ist unsere Fahrtkostenpauschale. Drogen brauchen nur Menschen, die vergessen haben, wie man in Bewegung bleibt.
Es heißt, Menschen werden Reiseautoren, weil sie sich insgeheim wünschen, Sex mit Wildfremden zu haben. Es gibt aber noch andere Gründe. Wir reisen, um uns selbst zu verlieren und uns anschließend wiederzufinden. Manchmal werde ich gefragt, ob ich schon immer so viel gereist bin und wovor ich weglaufe. Als Reiseautor ist das Zuhause etwas, das man in seinem Innern mit sich durch die Gegend trägt. Man braucht einen stabilen, robusten Charakter; hingegen ist die Behauptung, ein ausgeprägter Orientierungssinn sei unerlässlich, verkehrt. So seltsam es klingt, aber nicht viele Menschen haben tatsächlich die Konstitution für ein Leben voller Abenteuer, Ruhelosigkeit und Romantik. Das ist etwas für die jungen Jahre und lässt normalerweise im mittleren Alter von allein nach. Es sei denn, es ist pathologisch, so wie in meinem Fall. Wenn Sie das nicht kurieren können, ist es das Klügste, sich zu fügen und seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Wenn Sie beispielsweise Ihre Sammelwut nicht in den Griff bekommen, machen Sie doch einen Trödelladen auf. Wenn Sie nicht aufhören können, allen Menschen um Sie herum ständig Ratschläge zu erteilen, studieren Sie und eröffnen Sie eine Praxis als Psychologin; und wenn Sie kultursüchtig sind und es sich nicht leisten können, durch die Welt zu reisen, holen Sie alles zu sich und nennen Sie das Ganze Kunstfestival.
Gastronomiereisen
Die Kultur eines fremden Landes erschließt sich am besten durch seine Küche. Essen und Trinken sind gut fürs Wohlbefinden und die perfekte Methode für den Gastgeber, seiner Willkommensfreude und seinem Respekt für den Gast Ausdruck zu verleihen. Die meisten wichtigen Entscheidungen werden beim Essen getroffen, und praktisch alle einschneidenden Ereignisse in unserem Leben von Speisen und Getränken begleitet: Hochzeiten, Geburtstage und Begräbnisse. Wenn man Besuch bekommt, bietet man dem Gast eine Mahlzeit an oder führt ihn zum Essen aus. Appetit, Kochen und Romantik sind die wesentlichsten Motivationsfaktoren der Geschichte: Sie dienen dem Erhalt und der Weiterentwicklung der Spezies, beschwören Kriege herauf, inspirieren zu Songs und halten die Gesellschaft zusammen. Von der Geburt bis zum Tod gehen Essen, Liebe und Wohlbefinden Hand in Hand, und in manchen Phasen verschwimmen die Grenzen zwischen ihnen gänzlich. Ein Koch vermittelt eine sehr intensive, persönliche Energie, während er die Speisen zubereitet, und Nahrungsmittel bringen uns zurück zu unseren Wurzeln. Wenn jemand mit Energie und Leidenschaft kocht, übertragen sich genau diese Eigenschaften auf die Menschen, die die Speisen anschließend genießen.
Über Gastro-Reisen zu schreiben ist etwas sehr Romantisches, weil man damit eine längst verschwundene Welt wieder zum Leben erweckt. Hinter jedem Rezept steckt eine Geschichte von lokalen Traditionen und des täglichen Lebens in Dörfern und Städten. Rezepte sind so etwas wie uralte Erinnerungen; in ihnen drückt sich das Bedürfnis aus, alte, längst vergangene Kulturen zu respektieren und zu erhalten; sie sind gewissermaßen die Bewahrung der eigenen Identität. Im Auszug aus Ägypten schildert die Bibel die Sehnsucht der Juden nach den Speisen, die sie in ihrer Heimat zurückgelassen haben. Traditionelle Gerichte sind wichtig, weil sie eine Verbindung zur Vergangenheit darstellen, eine Huldigung der eigenen Wurzeln und ein Symbol der Kontinuität. Sie sind jener Teil einer Kultur, die am längsten überlebt, und werden selbst dann bewahrt, wenn Kleidungsstil, Musik und die Sprache längst vergessen
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