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Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Titel: Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peta Mathias
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sind. In einem Land wie Marokko wird das Kochen über die Gene und die Fingerspitzen weitergegeben. Wie die Liebe verändert sich auch das Kochen und gibt mit jeder Generation neue Erfahrungen weiter.
    In seinem Essay Die Philosophie des Reisens schrieb George Santayana: »Manchmal müssen wir uns in die Einsamkeit flüchten, in die Ziellosigkeit, in die moralischen Ferien des reinen Zufalls, um uns für die Härten des Lebens zu öffnen, eine Kostprobe der Mühsal zu bekommen, und um gezwungen zu sein, um jeden Preis auf einen bestimmten Augenblick hinzuarbeiten.« Eins kann ich Ihnen versichern: Auf hohen Absätzen durch die Gassen einer marokkanischen Medina zu gehen ist Mühsal – nur damit Sie nicht glauben, ich würde für meine Kunst keine Mühen auf mich nehmen. Selbst mein Verdauungstrakt hat um der Kunst willen gelitten. Es war mitten in der Medina von Rabat bei einem Tagesausflug mit Freunden, als mich dieses »Gefühl der Leere« überkam – nicht im Sinne von mentalem Kummer, sondern rein körperlich. Niemand kann einem helfen, niemand kann einen aufhalten, und nichts kann es rückgängig machen. Und es ist im marokkanischen Gesetz verankert, dass man kilometerweit von der nächsten Toilette entfernt ist, wenn es einen überfällt. Bombay Bottom, Deli Belly, Rabat Rumble, Marokko Mambo – der Tanz, der mich, wie alle mich gewarnt hatten, unweigerlich heimsuchen würde. Panisch rannte ich umher, fragte nach einer Apotheke oder einer Toilette, je nachdem, was näher war. Schließlich fand ich eine Apotheke, kaufte die Tabletten, die mich von diesem Gefühl der Leere befreien sollten, und rannte aufs Dach des Hauses, wo sich die Toiletten befanden. Am liebsten würde man die Nase völlig ausschalten (okay, am liebsten würde man alle Sinneswahrnehmungen ausschalten). Man muss den Einkaufskorb irgendwo hinhängen, die Feuchttücher herausfummeln, sein Geschäft erledigen und dann alles mithilfe des Eimers und Wasser aus dem Hahn saubermachen. Zur Erholung brauchte ich dringend etwas Wohlriechendes: getrocknete Rosenblüten, Henna, Safranfäden oder frische rosa und weiße Blüten von einem Oleanderbaum.
    Ein weiterer guter Grund für eine Karriere als Reiseschriftsteller, abgesehen von der Fantasie, Sex mit wildfremden Menschen zu haben, ist Shoppen. Märkte sind ungemein wertvoll, weil sie die Unterschiede zwischen den Kulturen zeigen, wohingegen Läden für Kunsthandwerk ihren Besuchern lediglich die unwürdigen Facetten des eigenen Charakters vor Augen führen. Im Gegensatz zu meiner Fotografin auf der Marokko-Reise bin ich nicht die geborene Feilscherin. Sie war ein regelrechter Rottweiler, die ihr Benehmen durch das Argument rechtfertigte, Handeln sei hier üblich. Manchmal tat sie es noch nicht einmal, weil sie das Objekt des Feilschens wirklich brauchte, sondern weil sie süchtig nach dem Adrenalinkick war, einen Händler in seinem eigenen Metier zu übertrumpfen. Ich habe eine ziemlich kapriziöse Einstellung zum Einkaufen. Ich kann unglaublich diszipliniert sein und eisern Nein zu marokkanischen Teppichen, provenzalischen Töpferwaren und irischen Pullovern sagen, an dicken Wälzern über Esskultur oder Schuhen komme ich hingegen nicht vorbei.
    Die große Freude an der Reiseschriftstellerei ist der Luxus, alle Überzeugungen und Prinzipien zu Hause zu lassen und alles aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Ein guter Reisender gibt immer etwas zurück. Es ist sehr praktisch, wenn man irgendein gottgegebenes Talent wie Tanzen, Zeichnen oder Seilbalancieren hat, weil die Leute sich dann nicht vorkommen, als sei man gerade in ihr Leben eingebrochen, hätte ihnen die Seele geraubt und sei wieder von dannen gesegelt, nur um mit ihrer Geschichte Geld zu verdienen. Bei meinen Reisen schenken mir die Menschen Lieder und Rezepte und Liebe, während ich ihnen Lieder und Rezepte und Liebe als Gegengeschenk mache. Aber man trägt auch stets Überzeugungen und Neuigkeiten an Orte, die man besucht, und in manchen Teilen der Welt ist man die reinste Zeitung auf Beinen und holt die Menschen aus den Beschränkungen ihres eigenen Lebens. In einem winzigen Dorf in Portugal werden Sie zu den Augen und Ohren der Menschen, denen Sie begegnen. Ein Reiseschriftsteller bringt Träume und nimmt wieder welche mit; dabei sollte er viel Liebe und Großzügigkeit zeigen. Ich erzähle den Leuten beispielsweise von meinem Rezept für langsam gekochte Tomatensauce oder Ziegenkäsesoufflé. Sie wiederum setzen sich auf den

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