Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Mary Henrietta Kingsley. Die Behauptung, Menschen würden lediglich reisen, um Sex mit Wildfremden zu erleben, ist in Wahrheit gar nicht so weit hergeholt. Der Kick des Reisens ist mit dem vergleichbar, den man beim Sex erlebt, und er wird sogar mit ähnlichen Worten beschrieben: Abenteuer, Heldentat, Eroberung, Entdeckung. In Frankreich birgt die Bezeichnung »aventurière« eine eindeutig sexuelle Anspielung auf das moralisch grenzwertige Verhalten der Frau. Selbst heute muss ich in Vietnam noch erklären, mein toter Ehemann sei in der Nähe, weil sie nicht verstehen können, dass ich allein reise. Anfangs benutzten viktorianische Frauen Forschungsprojekte oder künstlerisches Interesse als Vorwand für ihre Reisen, wo sie in Wahrheit nichts anderes als blanke Abenteuerlust trieb.
    Obwohl wir uns heutzutage wesentlich freier bewegen können, reisen wir immer noch anders als Männer. Reiseautorinnen halten ihre Eindrücke auf intimere, persönlichere Weise fest, während ihre männlichen Kollegen den Leser nicht allzu sehr an ihren Gefühlen teilhaben lassen. Frauen sind sich ständig ihres eigenen Körpers und der überall lauernden Gefahr ungewollter Aufmerksamkeit oder gar Vergewaltigung bewusst. Natürlich werden auch Männer überfallen und ausgeraubt, doch bei Frauen kommt auch noch die Bedrohung sexueller Verletzlichkeit hinzu. Frauen im Viktorianischen Zeitalter kleideten sich häufig wie Männer, besonders bei Reisen durch die Wüsten. Sie gehörten der Oberschicht an und verfügten über entsprechende Voraussetzungen: Sie waren weiß, gebildet und oft ohne häusliche Bindungen. Selbst heute sind nicht-weiße Frauen aus der Arbeiterschicht unter den Reiseautoren eher die Ausnahme. Hier sind einige der wichtigen Reisepionierinnen der Geschichte:
    LADY MARY WORTLEY MONTAGU (1689–1762)
    Sie war Satirikerin und Dichterin. Als ihr Ehemann zum Botschafter von Konstantinopel ernannt wurde, sorgte sie für einen Skandal, indem sie ihm ohne Begleitung einer Anstandsperson folgte. Sie liebte die Türkei und kleidete sich nach dem dortigen Stil. Möglicherweise lag es am Reisefieber, dass Lady Montagu schließlich ihren Ehemann verließ und viele Jahre lang an der Seite verschiedener Liebhaber durch Europa reiste.
    MARY WOLLSTONECRAFT (1759–1797)
    Sie schrieb über soziale und politische Ungerechtigkeiten und übte Kritik an der Kirche, der Regierung und der Justiz. Sie reiste viel in Europa herum und schilderte auf sehr moderne, persönliche Art ihre Eindrücke. Sie starb bei der Geburt ihrer zweiten Tochter Mary, die später den Dichter Shelley heiratete und den Roman »Frankenstein« verfasste.
    ISABELLE EBERHARDT (1877–1904)
    Isabelles hochinteressante Lebensgeschichte endete tragisch. Sie war Schweizerin und reiste in Männerkleidung durch Nordafrika, nachdem sie zum Islam konvertiert war. Sie nannte sich Si Mahmoud und schilderte ihre innere Reise und die Liebesdramen mit vom Wüstenstaub bedeckten Gentlemen. Nachdem sie von der europäischen Gesellschaft wegen ihres Übertritts zum Islam und beim Islam und den Arabern für ihre Verkleidung als Mann in Ungnade gefallen war, wurde sie drogenabhängig und zog als obdachlose Bettlerin durch die Straßen. Sie kam mit gerade einmal 28 Jahren bei einer Überschwemmung in Algerien ums Leben.
    EDITH WHARTON (1862–1937)
    Trotz ihres aristokratischen Standes war Edith eine hervorragende Schriftstellerin, die insbesondere durch ihre Romane beeindruckte. Doch auch ihre Reiseschilderungen bestachen durch große Sensibilität und Sachkenntnis. Sie unternahm viele Reisen an der Seite von Henry James, mit dem sie eine innige Freundschaft verband.
    ISAK DINESEN (1885–1962)
    Isak war das Pseudonym der Schriftstellerin Karen Blixen, der Verfasserin von »Jenseits von Afrika«, das als eines der besten Reiseliteraturwerke der Welt gilt. Sie besaß eine Kaffeefarm in Afrika und schilderte in einer sehr eindringlichen Sprache ihre Reisen durch den schwarzen Kontinent.
    FREYA STARK (1893–1993)
    Sie galt als Südarabien-Expertin, besonders für die dortigen Dialekte, und unternahm ausgiebige Reisen durch die Türkei, China, Afghanistan und Nepal. Sie war eine hervorragende Autorin, wurde zur Dame of the British Empire ernannt und erreichte ein stolzes Alter von einhundert Jahren.
    MARGARET MEAD (1901–1978)
    Margaret war eine herausragende Anthropologin und Philosophin. Sie beherrschte die Kunst, geduldig zu beobachten und im Stillen alles zu lernen, was es über die