Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
weiter ungewöhnlich vorkam. Vielmehr war Schwester Leo, ebenso wie die wetternden Schwestern in der Grundschule, lediglich eine weitere faszinierende Gestalt meiner Kindheit. Hätte mich je ein Erwachsener nach meiner Meinung gefragt, wäre ich höchstwahrscheinlich geschockt über diese Nachgiebigkeit gewesen. Damals debattierte man nicht mit Erwachsenen, man bekam ein klares Ja oder Nein, dem man sich zu fügen hatte. Diskussionen waren tabu. Die Erwachsenen sagten, wo es langging, und waren von allen gefürchtet. In meiner Kindheit herrschte eine Art wohlwollender Faschismus. Wir waren vielleicht nicht das Glück in Person, doch unglücklich waren wir auch nicht.
Schwester Leo pflegte zu sagen, man könne jedem das Singen beibringen, und ich stellte fest, dass sie genau das auch tat. Sie müssen sich nicht für einen hoffnungslosen Fall halten, nur weil Sie wie ein Kieslaster auf Steroiden klingen, wenn Sie den Mund aufmachen. Sie mögen vielleicht niemals wie ein Vögelchen trällern, können aber trotzdem an den Punkt kommen, an dem Sie ein Lied zum Besten geben und Ihre Begeisterung fürs Singen mit anderen teilen können. Sollten Sie schon immer vom Singen geträumt haben, greifen Sie zum Hörer, und suchen Sie jemanden, der Ihnen Gesangsstunden erteilt. Ich weiß, das klingt schwachsinnig, aber im Chor zu singen ist unglaublich befriedigend und lässt den Körper unglaubliche Mengen Serotonin ausstoßen. Singen ist gut fürs Immunsystem, hilft gegen Depressionen, verbessert die kognitiven Fähigkeiten, hebt die Stimmung und steigert das allgemeine Wohlbefinden. Laut einer Studie der Universität Ontario kann der Alterungsprozess der menschlichen Stimme durch Singen aufgehalten werden, außerdem kann es Menschen helfen, den Umgang mit Schmerzen zu erleichtern, baut Stress ab und vergrößert die Lungenkapazität. Singen und Musik bereiten Ihnen Freude, und sie lassen Sie tanzen, was indirekt zum Sex führt. Sie können gar nicht verlieren.
FIONA
Fiona Ferens ist die großzügigste Sängerin, die ich kenne. Sie singt, wann immer man sie darum bittet, und gibt trotz ihres herrlichen glasklaren Soprans jedem das Gefühl, so gut singen zu können wie sie. Wir haben es alle versucht, das größte Problem jedoch ist, ihre Schönheit und ihre perfekte Figur zu imitieren. Fiona verfügt über ein beachtliches Repertoire an Opernarien, Kirchen- und Konzertliedern. Sie tritt überall im Land auf, ist regelmäßig im Fernsehen und Radio zu sehen und zu hören und unterrichtet auch Gesang. Ich habe sie gefragt, wie sie zum Singen gekommen ist und welches Gefühl es ihr gibt.
»Ich habe keine Ahnung, aber ich muss einfach singen und Musik machen. Das war schon immer so, von Kindesbeinen an. Ich erinnere mich, dass ich schon im Kindergarten allen etwas vorgesungen habe, die zu uns nach Hause zu Besuch kamen. Und ich habe es geliebt, in die Kirche zu gehen, weil dort Musik gespielt und gesungen wurde, was mich für die langweiligen Teile dazwischen entschädigt hat. Ich war wie ein kleiner Papagei und konnte mir im Handumdrehen die Texte merken. Ein Knopfdruck und schon fing ich an zu singen.
Musik gibt mir ein wunderbares Gefühl. Manche Menschen behaupten, ein Gesangsauftritt – dieses körperliche Hochgefühl zu erleben und dem gewaltigen Ausstoß an Serotonin ausgesetzt zu sein – sei, vor allem in Verbindung mit der Bewunderung des Publikums, besser als jeder Orgasmus. Ich sage dazu lieber gar nichts, weil Sie es sonst in Ihrem Buch drucken! Als klassische Sängerin empfinde ich während und nach dem Auftritt unterschiedlich, je nachdem, welche und wie viele Instrumente mich begleiten, wie schwierig der Gesangspart ist und natürlich auch, wie gut es gelingt, die Musik aus dem eigenen Herzen auf das Publikum zu übertragen. Der Vortrag klassischer Musik erfordert vollen Einsatz auf mentaler und geistiger Ebene und ist immer eine große Herausforderung, aber wenn der Auftritt gut läuft und das Publikum förmlich gefesselt ist, fühlt es sich absolut unglaublich an.«
»Welches Gefühl löst Musik in Ihnen aus?«
»Musik besitzt die Fähigkeit, einen spontan innehalten zu lassen. Es ist, als stünde die Zeit plötzlich still; zum Glück schlägt das Herz weiter, während alles andere in Sphären entführt wird, deren Existenz man bis dato gar nicht ahnte. Das trifft auf sämtliche Arten von Musik zu. Und so fühle ich mich jedes Mal, wenn mich ein Musikstück wirklich ergreift. Ich meine, wieso spielt man viele
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