Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
ganze Berge davon verdrücken, um auch nur ansatzweise in die Sphären eines Orgasmus zu kommen. Frauen mögen Sex, haben aber keine Lust auf das ganze Brimborium, das damit einhergeht. Die zentrale These in Oliver James’ Buch Affluenza ist, dass Glück und seelische Ausgeglichenheit ein Anliegen des öffentlichen Gesundheitswesens sind. Seiner Meinung nach hat Glück nichts mit der Leistung oder den Bemühungen des Einzelnen zu tun (»Was habe ich erreicht?« oder »Weshalb habe ich versagt?«), sondern ist vielmehr das Produkt einer Palette an gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Umständen. Unsere in höchstem Maß unausgeglichene, auf Wettbewerb und Individualität ausgerichtete Gesellschaft beschwört immer mehr emotionales Leiden und Ungleichgewicht herauf.
Ängste und innere Unruhe
Mit den Ängsten verhält es sich wie mit anderen unangenehmen Erscheinungen: Einfach nicht beachten, dann verschwinden sie von allein. Doch leider ist das nicht immer so. Unser in jüngster Zeit erlangter Reichtum ging zu Lasten unseres emotionalen Wohlbefindens. Zwischen 1982 und 2000 hat sich die Zahl der Frauen, die unter Ängsten leiden, beinahe verdoppelt. Frauen haben so viel um die Ohren, dass ihnen manchmal gar nicht bewusst ist, dass sie unter innerer Unruhe leiden, weil dieser Zustand kommt und geht. Er verbirgt sich hinter Schlaflosigkeit, Grübeleien, Schmerzen und allerlei sonstigen Beschwerden. Diese Frauen leiden unter ihren Ängsten, seit sie aus dem Mutterleib gekommen sind, sich umgesehen und gedacht haben: Das kann so nicht richtig sein. Aus diesem Grund ist ihnen die Angst so vertraut, dass sie sie als normal betrachten. Meine Ängste manifestieren sich fast ausschließlich in Schlaflosigkeit. Wenn also in meinem Leben irgendetwas aus dem Gleis gerät (was in ungefähr 60 Prozent der Zeit der Fall ist), kann ich sofort nicht mehr schlafen. Ein wichtiger Termin am nächsten Morgen: kein Schlaf. Eine Reise mit dem Flugzeug: kein Schlaf. Ein fremdes Bett: kein Schlaf. Ein fremder Mann: kein Schlaf (obwohl das auch andere Gründe haben könnte). Fremdes Hotel: kein Schlaf … usw. usw. usw. Andere Frauen, die unter innerer Unruhe leiden, können nichts mehr essen und magern ab, andere essen zu viel und nehmen zu, und wieder andere haben das Gefühl, als liege ihr Herz zentnerschwer in ihrer Brust.
Man kann all das in den Griff bekommen, allerdings gelingt es mir nicht besonders gut. Als eine Frau in ihrem Haus ganz in der Nähe von mir brutal vergewaltigt wurde, fand ich nachts vor Angst keine Ruhe mehr. Ich entwickelte eine regelrechte Phobie, glaubte Einbrecher zu hören, spürte ihre Gegenwart förmlich in meinem Schlafzimmer und glaubte, ihren Geruch in der Nase zu haben, wenn sie sich auf mich legten. Meine Angst wurde durch die Tatsache geschürt, dass mir genau das in meinen Zwanzigern zweimal passiert ist: Ich wachte auf und stellte fest, dass ein Mann durchs Fenster eingestiegen war und Anstalten machte, in mein Bett zu kommen. Meine Freundin Gail Ratcliffe meinte, ich könnte so auf Dauer nicht weiterleben. Ihre Lösung für viele Probleme im Leben sieht folgendermaßen aus: Ändere, was du ändern kannst, und schaff dir alles andere vom Hals. Als Erstes brachte sie mich dazu, einen Schlosser kommen zu lassen, der sämtliche Türen und Fenster überprüfte, ehe ich einen Termin bei der lokalen Polizei vereinbarte, die mir zeigte, wie ich mein Leben sicherer machen konnte. Dann brachte sie mir bei, wie ich das »Gedankenkarussell anhalten« konnte. Und zwar so: Man beschwört den schlimmen Gedanken mit aller Macht herauf, so dass er klar und deutlich im Raum steht, und ruft dann ganz laut HALT . Das machen Sie dreimal nacheinander, dann legen Sie sich hin und versuchen zu schlafen. Wann immer der schlimme Gedanke zurückkommt, wiederholen Sie die Übung. Nach wenigen Nächten funktionierte es bereits.
Man kann seine Ängste, Schmerzen (vor allem Muskelschmerzen) und leichte depressive Verstimmungen auch mit Entspannungsübungen in den Griff bekommen. Meistens bestehen sie daraus, die Muskeln nacheinander zuerst an- und dann zu entspannen. So wird der gesamte Körper »durchgearbeitet.« Als ich mein Restaurant in Paris hatte, litt ich unter chronischen Rückenschmerzen und brach mindestens dreimal am Tag vor Verzweiflung in Tränen aus. Meine Brüder in Australien rieten mir, ein Buch über Entspannungsmethoden zu kaufen, völlig egal, welches. Ich besorgte mir eines am Flughafen. Darin
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