Wer will schon einen Traummann: Roman (German Edition)
außerdem wird Ihnen die Arbeit helfen, besser mit Ihrem Kummer fertig zu werden.«
Bastard! Sie hätte ihm dieses Wort von Herzen gern ins Gesicht geschrien; doch war sie als Tochter ihres Vaters von Geburt an dazu erzogen worden, ihre Emotionen nicht zu zeigen – also tat sie es auch nicht. Stattdessen musterte sie ihre beiden Gegenüber mit festem Blick. »Es ist unmöglich. Ich will mein Leben wieder zurückhaben. Das steht mir zu!«
Ihr Vater kam über den ovalen Teppich mit dem Präsidentensiegel auf sie zugeschritten und nahm ihr noch mehr von der kostbaren Luft, die sie zum Atmen brauchte. Sie fühlte sich wie eingekerkert und musste daran denken, dass Bill Clinton das Weiße Haus einmal das Kronjuwel im föderalen Strafvollzugssystem der Vereinigten Staaten genannt hatte.
»Du hast weder Kinder noch einen Beruf«, erinnerte ihr Vater sie. »Du bist kein selbstsüchtiger Mensch, Cornelia, und hast gelernt, deine Pflicht zu tun. Wenn du dich ein wenig auf der Insel erholt hast, geht es dir sicher wieder besser. Das amerikanische Volk zählt auf dich.«
Wie war das nur passiert?, fragte sie sich. Wie war sie zu einer so populären First Lady geworden? Ihr Vater schrieb es dem Umstand zu, dass die Leute sie hatten aufwachsen sehen; aber ihrer Meinung nach war es eher darauf zurückzuführen, dass sie von klein auf gelernt hatte, sich ohne größere Fehltritte in der Öffentlichkeit zu bewegen.
»Mir fehlt der Zugang zu den Menschen und das Geschick dafür«, schaltete sich nun Vandervort ein mit der brutalen Offenheit, die sie so oft an ihm bewunderte, obwohl sie ihn immer wieder Stimmen kostete. »Sie können das ausgleichen.«
Vage fragte sie sich, was Jacqueline Kennedy wohl gesagt hätte, wenn LBJ mit einem derartigen Vorschlag an sie herangetreten wäre. Aber Lyndon B. Johnson hatte keine Ersatz-First-Lady gebraucht. Er war mit einer der besten verheiratet gewesen.
Nealy hatte ebenfalls geglaubt, einen der Besten an ihrer Seite zu haben, doch es war anders gekommen. »Nein, das kann ich nicht. Ich möchte wieder ein Privatleben haben.«
»Dein Recht auf ein Privatleben ist durch deine Heirat mit Dennis hinfällig geworden.«
Da irrte sich ihr Vater. Sie hatte es schon an dem Tag verloren, als sie als James Litchfields Tochter auf die Welt kam.
Über die siebenjährige Nealy – lange bevor ihr Vater Vizepräsident wurde – hatten die nationalen Zeitungen eine Geschichte gebracht: wie sie ihr Osternest, das auf dem Rasen des Weißen Hauses versteckt gewesen war, einem behinderten Kind schenkte. Nicht jedoch stand in der Zeitung, dass ihr Vater, damals noch Senator, ihr flüsternd befohlen hatte, das Nest herauszurücken, und dass sie hinterher bitterlich geweint hatte über diese angeordnete Nächstenliebe.
Mit zwölf und einer schimmernden Zahnspange im Mund war sie fotografiert worden, wie sie gerade Suppe in einer Washingtoner Obdachlosenküche austeilte. Und die Dreizehnjährige zierte grüne Farbe auf der Nase, weil sie bei der Renovierung eines Altersheims mithalf. Doch ihre Popularität wurde für immer besiegelt, als man sie in Äthiopien fotografierte, wie sie ein verhungerndes Baby in ihren Armen hielt, während ihr Tränen der Wut und Verzweiflung über die Wangen liefen. Dieses Bild, das auf dem Cover der Times erschien, brachte ihr für alle Zeiten den Ruf als die Verkörperung des menschenfreundlichen Amerikas ein.
Die blassblauen Wände drohten auf sie zu fallen. »Ich habe meinen Mann vor weniger als acht Stunden zu Grabe getragen und will jetzt nicht darüber reden.«
»Selbstverständlich, meine Liebe. Wir können den Rest auch morgen besprechen.«
Am Ende vermochte sie sich sechs Wochen Schonzeit zu erkämpfen, bevor sie wieder ihre Arbeit aufnahm: die Aufgabe, zu der sie von Geburt an erzogen worden war und die Amerika von ihr erwartete. First Lady zu sein.
2
Im Laufe der nächsten sechseinhalb Monate wurde Nealy so dünn, dass die Zeitungen zu vermuten begannen, sie wäre möglicherweise magersüchtig. Mahlzeiten waren die reinste Tortur für sie. Nachts konnte sie nicht schlafen, und ihre akute Atemnot verschwand nie. Trotzdem diente sie dem Land gut als Lester Vandervorts First Lady … bis ein kleines Ereignis das fragile Kartenhaus zusammenbrechen ließ.
An einem Nachmittag im Juni stand sie in der Reha einer Kinderstation in Phoenix, Arizona, und sah einem kleinen lockigen, rothaarigen Mädchen, dessen dicke Beinchen in zwei Schienen steckten, bei ihrem
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