Wer Wind sät
herausspritzen, gegen die weiÃen Fliesen, auf den Boden, über seine Hände und Arme. Der Gedanke war verlockend. Aufregend. Beruhigend.
Sie richtete sich auf, betrachtete kritisch ihr Werk. Sein Blick hing an ihrem Hals, als wäre er ein Vampir, er schob die Rasierklinge zwischen Zeigefinger und Daumen.
»Leg dich noch etwas hin«, riet seine Mutter ihm mitfühlend. »Du könntest dir eine Gehirnerschütterung geholt haben. Vielleicht fahren wir gleich besser doch mal kurz ins Krankenhaus.«
Er antwortete nicht, stand vom Klo auf. Sein Mund war ganz trocken. Er holte tief Luft. Es würde ganz leicht sein.
»Mama?«
Sie drehte sich in der Tür um, blickte ihn fragend an. Unten im Haus klapperte eine Tür, Stimmen wurden laut. Seine Schwester war vom Joggen zurück. Mark zwang sich zu einem Lächeln. Schluckte.
»Danke, Mama«, sagte er.
*
Er öffnete mühsam die Augen und erkannte undeutlich eine feuchte schwarze Hundeschnauze. Wie aus weiter Ferne drangen Stimmen an sein Ohr, Sirenengeheul. Was war passiert? Wo war er?
»Nicht bewegen!«, rief eine hysterische Frauenstimme. »Der Notarzt ist schon da!«
Notarzt? Warum das denn? Jannis versuchte den Kopf zu heben und stöhnte unwillkürlich auf. Ein Mann beugte sich über ihn, sein Gesicht schien fern und gleichzeitig bedrohlich groÃ.
»Hören Sie mich? Hallo! Können Sie mich hören?«
Ich bin ja nicht taub, dachte Jannis. Aber ich bin offensichtlich auch nicht tot.
»Haben Sie Schmerzen?«
Nein. Ja. Ich weià nicht.
Er bewegte die Augen und sah eine Frau mit einem aufgeregt hechelnden Border Collie an der Leine, aber irgendwie war die Perspektive falsch. Sie stand auf dem Kopf. Eine warme Flüssigkeit füllte seinen Mund, er versuchte zu schlucken, aber vergeblich.
»Wie heiÃen Sie? Können Sie mir Ihren Namen sagen?«
Männer in weiÃen Klamotten und roten Westen schwirrten geschäftig um ihn herum. Sie erinnerten ihn irgendwie an Sanitäter. Fremde Hände machten sich an ihm zu schaffen, das war ihm unangenehm. Er wollte sie abwehren, doch sie waren unerbittlich.
»Mnebrllle«, murmelte er. Ohne Brille war er blind wie ein Maulwurf. Er wollte den Mann gerade bitten, seine Brille zu suchen, doch da durchfuhr ihn ein so wahnsinniger Schmerz, dass ihm übel wurde. Das Warme sickerte aus seinem Mundwinkel, rann über seine Wange. Was taten diese Idioten denn da? Warum lieÃen sie ihn nicht in Ruhe?
Für einen kurzen Moment fühlte er sich schwerelos, erhaschte einen kurzen Blick auf ein Stück hellblauen Himmel mit kleinen weiÃen Wölkchen, die geschäftig dahintrieben. Ãberlaut zwitscherten die Vögel. Ein wunderbarer Tag für eine kleine Radtour oder einen Spaziergang mit Nika .
Nika, Nika. Irgendetwas war doch mit ihr gewesen, aber was nur? Er konnte sich nicht erinnern. Warum lag er hier auf der StraÃe? Jannis spürte einen scharfen Pikser in seiner Armbeuge und vernahm metallische Geräusche, die er nicht zuordnen konnte. Klicken. Schieben. Etwas rastete ein. Der Himmel verschwand, stattdessen blickte er an eine weiÃe Decke.
Er wollte sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen fahren. Komisches Gefühl. So als ob ⦠ScheiÃe. Da war was mit seinen Zähnen. Sie waren weg! Er hatte keine Zähne mehr!
Mit voller Wucht kehrte die Erinnerung zurück und mit ihr die alles verschlingende Angst. Das Auto, der Sturz vom Fahrrad, die Männer mit den Sonnenbrillen! Sie hatten ihn einfach über den Haufen gefahren, das Auto war über sein Bein gerollt! Und jetzt lag er eingeschnürt in einem Notarztwagen! Jannis schnappte entsetzt nach Luft, verschluckte sich und musste husten.
»Ganz ruhig«, sagte jemand und fummelte einen Schlauch in seine Nase. Verdammt, das tat weh! Konnten die nicht besser aufpassen?
»Wie müffn Polifei anrfen!«, flüsterte er verzweifelt. »Der Theiffen fteckt dahinter! Wollten mif umbrgn!«
*
Die beiden Herren am Besprechungstisch wandten ihre Köpfe, als Bodenstein das Büro von Kriminalrätin Dr. Nicola Engel betrat, der dritte starrte mit stoischer Miene weiter aus dem Fenster.
»Guten Morgen, Heiko. Lange nicht gesehen«, sagte Bodenstein, bevor seine Chefin das Wort ergreifen konnte. »Frau Dr. Engel. Meine Herren.«
Die Wiedersehensfreude des Mannes im cognacfarbenen Dreiteiler reichte weder zu einem
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