Wer Wind sät
ihm und der Engel verändert.
Pia nahm die letzten drei Treppenstufen, bog nach links in den Flur ein, der zu den Büros des K 11 führte, und schüttelte den Kopf. Bis vor ein paar Tagen war sie der festen Ãberzeugung gewesen, ihren Chef einigermaÃen gut zu kennen. Doch inzwischen war sie sich da nicht mehr sicher.
*
Der Schmerz pulsierte hinter seinen Augen. Nicht unerträglich, aber wie eine beständige Erinnerung daran, dass nichts mehr in Ordnung war. Der Hass auf Nika wühlte in seinen Eingeweiden. Sie hatte alles kaputtgemacht, alles, alles, alles! Seitdem sie aufgetaucht war, war nichts mehr so gewesen wie vorher. Sie hatte sich zwischen Ricky und Jannis gedrängt und Jannis angemacht, obwohl Ricky ihre beste Freundin war. Das war echt das Allerletzte. Sie tat immer so unschuldig und zurückhaltend, in echt war sie völlig anders. Und Jannis war ein Schwächling. Ein Lügner, der ihn die ganze Zeit nur benutzt hatte. Ihn hasste er genauso wie Nika.
Mark starrte sein Gesicht im Badezimmerspiegel an. Ein Bluterguss zog sich von der linken Schläfe über sein Auge bis zum Jochbein, die Platzwunde an der Augenbraue war verkrustet. Er kratzte mit den Fingernägeln so lange am Schorf, bis er sich löste und das Blut wieder zu flieÃen begann. Ein dünnes Rinnsal. Viel zu wenig, um den Schmerz zu stillen.
Er musste heute unbedingt reinen Tisch machen und Ricky sagen, was er gestern gesehen und gehört hatte. Das war seine Pflicht als Freund. Tat er es nicht, machte er sich der Mitwisserschaft schuldig. Ricky musste einfach begreifen, was für linke Schweine Nika und Jannis waren. Wahrscheinlich hatte Jannis die Schlampe längst gebumst. Ganz sicher. Wenn nicht, dann würde es nicht mehr lange dauern, so scharf wie er auf die war. Und Ricky musste diesen Lügner auf allen vieren anbetteln, damit er sie â¦
Mark verzog das Gesicht bei dieser unwillkommenen Erinnerung. Was er auch tat, die Bilder lieÃen sich nicht aus seinem Kopf vertreiben, und, was viel schlimmer war, er kam gegen seine widerwärtigen Gefühle nicht an. Manchmal wusste er gar nicht mehr, wen er am meisten hasste: Nika, Jannis oder sich selbst. Alles stürmte auf ihn ein und brachte seinen Kopf zum Platzen.
Er wollte das nicht. Er wollte nicht scharf auf Ricky sein, nicht dauernd an ihren Körper, an den roten BH und an ihr lustverzerrtes Gesicht denken, als Jannis sie auf der Terrasse gevögelt hatte.
Alles sollte wieder so sein wie früher! So schön, kameradschaftlich und unschuldig. Er wollte doch nur ihr Freund sein, stattdessen quälten ihn unablässig diese schmutzigen, hässlichen, widerlichen Gedanken! Das Einzige, was sie für eine Weile vertreiben konnte, waren Schmerz und Blut. Frischer, scharfer Schmerz und rotes, sprudelndes Blut.
Mark suchte in der Schublade unter dem Waschbecken nach den Rasierklingen, mit denen seine Schwester sich die Beine rasierte. Damit konnte er die Platzwunde vergröÃern, konnte sich einen Schmerz zufügen, der ihn an Micha erinnerte. Es hatte immer entsetzlich weh getan, meistens hatte er dabei geweint, aber Micha hatte ihn hinterher getröstet, gestreichelt und ihm Kakao gekocht. Das war schön gewesen und hatte ihn die Schmerzen schnell vergessen lassen.
Ein Klopfen an der Badezimmertür lieà Mark erschrocken zusammenfahren. Seine Finger schlossen sich um die Rasierklinge in seiner Hand, gerade noch rechtzeitig. Seine Mutter kam herein.
»Mein Gott, Mark! Was ist passiert?«, fragte sie entgeistert, als sie das Blut in seinem Gesicht sah.
»Ich bin in der Dusche ausgerutscht, ist nicht so schlimm.« Das Lügen fiel ihm von Mal zu Mal leichter. »Ich find bloà kein Pflaster.«
»Setz dich mal hin.« Seine Mutter klappte den Klodeckel herunter. Er gehorchte. Sie wühlte im Spiegelschrank, bis sie fand, wonach sie suchte.
»Hast du denn auch wieder Kopfschmerzen?« Sie sah ihn prüfend an und legte ihre Hand an seine Wange. Mark drehte unwillig den Kopf weg.
»Bisschen.«
»Deswegen müssen wir wirklich mal zum Arzt gehen«, sagte sie.
Ãber ihn gebeugt stand sie da, schob konzentriert die Zunge zwischen die Lippen, als sie die Wundränder zusammenklebte. Er sah ihren Hals direkt vor sich, die pulsierende Halsschlagader, die bläulich durch die blasse Haut schimmerte. Ein einziger tiefer Schnitt würde genügen. Das Blut würde in einer Fontäne
Weitere Kostenlose Bücher