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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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war. Die meisten Bilder verkaufte meine Mutter nach und nach an Museen, aber drei Bilder behielt sie, weil sie an ihnen hing: einen Spitzweg, einen Carl Rottmann und ein Bild von Wladimir Bechtejeff aus der Blaue-Reiter-Periode. Die Bilder sind heute sehr viel Geld wert. Ich habe sie vom Dachboden geholt, im Kofferraum des Mercedes werden Sie alles finden.«
    Â»Ich verstehe«, sagte Pia. »Bevor Ihre Brüder es tun, wollen Sie die Bilder lieber selbst verkaufen.«
    Â»Nein, das habe ich nicht vor. Ich will sie behalten, denn sie bedeuten mir etwas.«
    Für einen Moment war es ganz still, nur eine Fliege, die sich in den fensterlosen Vernehmungsraum verirrt hatte, kreiste summend über ihren Köpfen.
    Pia betrachtete Frauke Hirtreiter nachdenklich. Sie hatte schon viele Menschen vernommen, Schuldige und Unschuldige, Mörder, Totschläger, Affekttäter, Lügner und solche, die glaubten, schlauer als die dummen Bullen zu sein. Manche waren nervös, andere aggressiv, wieder andere weinerlich. Zu welcher Kategorie gehörte die Frau, die ihr ruhig gegenübersaß und gelassen ihren Blick erwiderte? War sie eine gute Schauspielerin?
    Pia suchte nach Zeichen in Frauke Hirtreiters Verhalten und ihrer Mimik, nach irgendetwas, das Schuld und schlechtes Gewissen verriet. Aber da war nichts. Kein nervöses Augenzwinkern, kein unsteter Blick, kein Stottern. Ihre Antworten waren präzise und kamen ohne Zögern.
    In diesem Moment überfiel Pia die niederschmetternde Erkenntnis, auf dem falschen Weg zu sein. Wie auch immer das Gewehr in den Kleiderschrank von Frauke Hirtreiter geraten sein mochte – diese Frau hatte nicht ihren Vater und dessen Hund erschossen. Eine Fortsetzung der Vernehmung wäre Zeitverschwendung.
    Sie stand auf, gab Cem einen Wink, ihr zu folgen, und verließ den Vernehmungsraum. So viel war seit ihrer Rückkehr aus dem Urlaub auf sie eingestürmt, dass sie nicht mehr wusste, wann sie im unübersichtlichen Gewirr der Fährten den Faden verloren hatte. Bodenstein pflegte sich in solchen Fällen eine Auszeit zu nehmen und ging spazieren, um zur Ruhe zu kommen und die Gedanken zu ordnen. Vielleicht sollte sie genau das auch tun. Und zwar auf der Stelle.
    Â»Was ist?«, fragte Cem sie vor der Tür. Pia lehnte sich gegen die Wand.
    Â»Sie war’s nicht«, erwiderte sie und seufzte. »So ein Mist. Und ich war mir so sicher.«
    Â»Ich fürchte, du hast recht. Willst du sie laufenlassen?«
    Â»Nein. Noch nicht. Aber ich brauche mal eine Pause.«
    Cem nickte verstehend. Pia legte die Handflächen aneinander und tippte mit den Zeigefingern gegen ihre Lippen. Mark Theissen bei Friederike Franzen. Was tat der Junge da? Wo war Theodorakis? Wie kam dessen DNA an Grossmanns Leiche? Weshalb fuhr Mark ein Moped, das Rolf Grossmann gehörte? Was hatte sie vorhin am Auto von Frau Franzen stutzen lassen? Warum war Rademacher wirklich mit Ralph Glöckner am Dienstagabend auf dem Rabenhof gewesen? Je mehr sie über alles nachgrübelte, desto größer wurde das Durcheinander in ihrem Kopf.
    Â»Frag Frau Hirtreiter bitte nach Mark Theissen. Und auch nach Frau Franzen und Herrn Theodorakis.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Viertel nach zwei. »Ich bin gegen vier wieder hier. Dann fahren wir zu Theissens. Und vielleicht ist Theodorakis bis dahin auch wieder aufgetaucht.«
    *
    Der Streifenwagen setzte ihn auf dem Parkplatz ab. Bodenstein bedankte sich und wartete, bis die Kollegen verschwunden waren. Im Urlaub stand ihm kein Dienstwagen zu, und einen Privatwagen besaß er nicht mehr, seitdem er den BMW im vergangenen November zu Schrott gefahren hatte. Heute war er in kaum einer besseren seelischen Verfassung als damals. Sein Verstand sagte ihm, dass er Annika nicht länger verstecken durfte, solange sie unter Mordverdacht stand. Sein Herz verlangte das Gegenteil.
    Wie sollte er sich jetzt verhalten? Konnte er ihr wirklich glauben? Er kannte sie kaum, und seine starken Gefühle für sie erschwerten eine objektive Betrachtung der ganzen komplizierten Angelegenheit. Warum hatte sie ihm den wahren Grund für ihre Flucht verschwiegen? Es nützte nichts, wenn er das Gespräch vor sich herschob. Er brauchte Gewissheit. Sofort.
    Bodenstein ging zum Kutscherhaus hinüber und schloss die Haustür auf. Annika – er benutzte ihren richtigen Namen, seitdem er ihn kannte, denn er mochte die Abkürzung

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