Wer Wind sät
und bildete einen malerischen Kontrast zu dem tiefblauen Himmel. Die Geräusche verklangen in ihrem Rücken, bald war nur noch der dumpfe Hufschlag des Pferdes zu hören und das Trillern der Lerchen, die sich in die Lüfte schraubten. Die Stute fiel von selbst in Galopp, als sie die lange Gerade erreicht hatten. Der Boden war an manchen Stellen matschig vom Gewitterregen der vergangenen Nacht, aber das Pferd fand sicheren Halt. Pia lieà es in einem weiten Bogen bis hoch zur BundesstraÃe galoppieren, die von Kelkheim nach Hofheim führte. Dort parierte sie zum Schritt durch und entschloss sich an einer Weggabelung, die gröÃere Runde zu nehmen.
Wieso hatte Bodenstein ihr nichts von der Erbschaft seines Vaters erzählt? Sie war gespannt, ob er sein Versprechen einhalten und später auf den Birkenhof kommen würde.
Die Hufe des Pferdes, das nun entspannt am langen Zügel dahinschritt, klapperten auf dem Beton. Hinter ihr kam eine Frau auf Inlineskates herangerauscht, sie schob einen jener geländetauglichen dreirädrigen Hightech-Kinderwagen vor sich her, in dem ein Baby schlief. Pia blickte ihr nach und betrachtete neidvoll ihre schlanken, durchtrainierten Beine. Die Frau war vielleicht Anfang vierzig, und in diesem Alter â das wusste Pia aus eigener leidvoller Erfahrung â kam eine solche Figur nicht von ungefähr. Ihre Gedanken wanderten zu Friederike Franzen, die hatte für ihr Alter nämlich auch eine erstaunlich gute Figur. Kein Gramm Fett an ihrem sonnengebräunten Körper, nur harte Muskeln, das hatte sie bemerkt, als sie heute Morgen ihren Arm um sie gelegt hatte.
Pia lieà zwei Fahrradfahrer vorbei und bog nach links in den Wiesenweg ein, der Richtung Birkenhof führte. Sie lieà die Stute erst traben, dann galoppieren. Der Wind pfiff in ihren Ohren, sie genoss die Sonne im Gesicht.
Und auf einmal löste sich der Knoten in ihrem Kopf. Die Tasche! Das war es, was ihr Misstrauen geweckt hatte! Friederike Franzen hatte behauptet, sie sei ins Haus zurückgegangen, weil sie ihre Tasche auf dem Küchentisch vergessen habe. Dabei hatte die auf dem Beifahrersitz ihres Autos gelegen!
Pia parierte das Pferd durch und kramte ihr Handy aus der Tasche. Sie rief im Menü die eingegangenen Anrufe auf und fand die Nummer mit der Königsteiner Vorwahl. Die Vermieterin von Frauke Hirtreiter meldete sich schon nach dem zweiten Klingeln.
»Ja, das stimmt«, antwortete sie auf Pias Frage. »Frau Franzen war heute Morgen ganz kurz da, etwa gegen acht. Sie hat eine Weile hier im Hof im Auto gesessen und telefoniert und ist dann wieder gefahren. Ohne auszusteigen. Das fand ich eigenartig, deshalb bin ich am Fenster geblieben.«
Die alte Dame klang stolz. Sie hatte den Hof offenbar seit dem Morgengrauen lückenlos überwacht, ihr Erinnerungsvermögen war minutiös. Eine traumhafte Zeugin. »Der Junge kam ungefähr gegen zehn. Dann macht normalerweise das Tierparadies auf, aber heute war auch Nika nicht da. Er hat auf der Treppe herumgesessen und telefoniert. Oder er hat versucht, zu telefonieren. Irgendwie war er nervös ⦠Hm, sein Name fällt mir nicht ein.«
»Mark«, half Pia ihr auf die Sprünge.
»Ja, Mark, natürlich!«, rief die Frau beglückt. »Ach, in meinem Alter, da vergisst man hin und wieder was.«
»Ich finde, Ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet«, schmeichelte Pia ihr und bedankte sich. Dann versuchte sie, den Tag von Friederike Franzen zu rekapitulieren. Gegen acht Uhr war sie am Zoogeschäft gewesen, hatte im Auto gesessen und telefoniert, war aber nicht ausgestiegen. Von dort aus musste sie wieder nach Hause gefahren sein. Warum eigentlich? Hatte sie etwas vergessen? Die Geschichte stimmte hinten und vorne nicht. Und dann noch dieses Telefonat, von dem Pia nur Bruchstücke mitbekommen hatte. Bin stinksauer! Das war ja wohl total übertrieben! Was hatte das zu bedeuten? Mit wem hatte sie telefoniert? Wo war Theodorakis? Und was tat der Sohn von Stefan Theissen im Haus von ausgemachten Feinden seines Vaters? Mark konnte durchaus auch nachts im Gebäude der WindPro gewesen sein â er kannte sich dort sicherlich aus. Hatten Theodorakis und seine Freundin den Jungen gegen seinen Vater aufgehetzt und ihn dazu überredet, die gefälschten Gutachten zu besorgen?
Fragen über Fragen! Doch anders als noch vor zwei Stunden ahnte Pia, dass die Antworten nicht mehr
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