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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Broten. Bis morgen früh würde er hier Wache halten, damit niemand von diesen Gangstern auf die Idee kam, heimlich das Gebiet abzusperren, um morgen mit der Baumfällung weiterzumachen. Er hatte schon unzählige Nächte im Wald verbracht. Und seitdem Elfi vor zwei Jahren gestorben war, gab es sowieso keinen zwingenden Grund mehr, zu Hause zu schlafen.
    Elfi. Er vermisste sie in jeder Minute seines Lebens, er vermisste den Gedankenaustausch mit ihr, er vermisste ihren klugen Rat und ihre bedingungslose Liebe, die er seit ihrer ersten Begegnung vor 58 Jahren mit jeder Faser seines Herzens erwidert hatte. Der Krebs war zwei Mal gekommen und wieder gegangen, aber nur scheinbar. In Wirklichkeit hatte er sich heimtückisch ausgebreitet, war in die Lymphknoten und in ihr Rückenmark gekrochen und hatte ihren ganzen Körper verseucht. Sie war so tapfer gewesen! Ohne zu klagen hatte sie schmerzhafte, erniedrigende Chemotherapien über sich ergehen lassen, hatte gescherzt, als ihr die Haare ausgefallen waren, und selbst dann nicht geweint, als sie nicht mehr essen konnte, weil sich ihre Mundschleimhäute ablösten. Elfi hatte gekämpft wie eine Löwin.
    Nach all den schrecklichen Behandlungen war es mit ihr bergauf gegangen. In der kurzen Phase trügerischer Besserung hatten sie eine letzte Reise unternommen, in ihre oberbayrische Heimat, die sie nur aus Liebe zu ihm verlassen hatte. Sie hatten eine gemeinsame Wanderung im Karwendel unternommen und beide geahnt, dass es die letzte sein würde. Ludwig Hirtreiter spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Danach war es sehr schnell gegangen. Nur drei Wochen später hatte er Elfi zu Grabe getragen. Seine beiden Söhne und seine Tochter hatten neben ihm gestanden, aber er hatte kaum ein Wort mit ihnen gewechselt, zu tief war die Kluft, die sie trennte. Vielleicht hätte er die Gelegenheit nutzen und ihnen die Hand zur Versöhnung reichen sollen, aber vor lauter Schmerz war er nicht dazu in der Lage gewesen. Jetzt war es zu spät. Die bösen Worte, die zwischen ihnen gefallen waren, ließen sich nicht mehr zurücknehmen. Er war allein und würde es bleiben.
    Er saß ganz still da und lauschte. Eine leichte Brise fuhr durch die Baumwipfel und ließ die Blätter rauschen, es duftete nach Waldmeister und Bärlauch. Ein Käuzchen schrie, eine Dachsmutter führte ihre Jungen im bleichen Mondlicht auf der Lichtung aus. Irgendwo im Unterholz rumorte eine Rotte Wildschweine. Vertraute Geräusche und Düfte, Balsam für seine zerrissene Seele.
    Seine Gedanken wanderten zum Nachmittag. Sein Zorn auf Jannis hatte sich nicht gelegt. Vom ersten Moment an war ihm dieser Kerl suspekt gewesen, denn auch wenn er viel für die Sache getan hatte, so waren seine Beweggründe egoistisch und die Besessenheit, mit der er sich ins Zeug legte, gefährlich. Wie hatte er nur vom Angebot der WindPro erfahren? Hatte er noch Kontakte in seine ehemalige Firma? Natürlich hätte er selbst mit offenen Karten spielen müssen, aber er war der Meinung, dass es niemanden anging. Außerdem hatte er befürchtet, dass diese unglaubliche Summe Misstrauen und Zwietracht säen würde. Genau das war jetzt passiert. Hirtreiter bereute, Jannis vor allen Leuten geohrfeigt zu haben. Er hätte gelassener reagieren müssen, aber er war so außer sich vor Zorn gewesen, dass er die Beherrschung verloren hatte. Und dann war auch noch dieses dumme Weib auf ihn losgegangen! Seine Abneigung gegen Ricky war ungerecht, das wusste Ludwig Hirtreiter, aber er nahm ihr insgeheim übel, dass sie Frauke nicht nur einen Job, sondern auch noch eine Wohnung verschafft hatte. Wäre Ricky nicht gewesen, würde Frauke heute noch bei ihm auf dem Hof leben.
    Tell regte sich im Schlaf und knurrte leise. Hirtreiter streckte die Hand aus und streichelte das raue Fell seines Hundes.
    Â»Sie verstehen uns alle nicht richtig«, sagte er leise, und Tells Ohr zuckte. Im Grunde genommen hatte er gar nichts gegen einen Windpark, wenn dieser Standort nur dafür geeignet gewesen wäre. Aber das war er nicht, das belegten zwei unabhängig voneinander erstellte Gutachten. All die Bäume würden aus reiner Profitgier gefällt werden, und dann würden sich die Windräder nicht einmal drehen. Hirtreiter hatte die geschniegelten Bürschchen von dieser Planungsfirma kennengelernt und festgestellt, wie leichtfertig sie Geld verteilten, das

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