Wer Wind sät
genau genommen dem Steuerzahler gehörte. Auf irrsinnige drei Millionen hatten sie mittlerweile ihr Angebot für die Pfaffenwiese erhöht. Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er mit seiner Weigerung, die Wiese zu verkaufen, den Windpark kippen konnte. Und das würde er tun. Egal, was die Leute denken mochten, die Pfaffenwiese bekamen Theissen und Konsorten nur über seine Leiche.
*
Gähnend stopfte Pia die letzte Ladung schmutziger Wäsche in die Waschmaschine im Badezimmer. Nach 40 Stunden ohne nennenswerten Schlaf war sie wie erschlagen, nur ihr Kopf wollte einfach nicht zur Ruhe kommen. Sie hörte Christophs leises Schnarchen durch die geöffnete Schlafzimmertür und beneidete ihn um seine Fähigkeit, immer und überall sofort einschlafen zu können. Behutsam schloss sie die Badezimmertür, damit er nicht durch das Rumpeln der Waschmaschine aufgeweckt würde, und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ohne Ton der Fernseher lief. Sie hatte versucht, einen Film zu gucken, aber ihre Gedanken waren ständig abgeschweift, so dass sie es bald aufgegeben hatte, der ohnehin platten Handlung zu folgen.
Irgendetwas stimmte nicht mit Stefan Theissen, deshalb hatte sie ihm auch die Details verschwiegen, die sie bisher über den Einbruch und Grossmanns Tod erfahren hatten. Warum hatte er sie angelogen? Hätte er sich nicht denken können, dass sie in kürzester Zeit die Wahrheit herausfinden würden? Sein Alibi für die Nacht von Freitag auf Samstag war ausgesprochen wacklig, denn auÃer seiner Ehefrau konnte niemand bezeugen, dass er tatsächlich um zwanzig nach zwölf zu Hause gewesen war. Pia ergriff die Fernbedienung und schaltete gähnend die Fernsehprogramme durch. Sie blieb beim Hessenjournal hängen und stutzte, als sie auf dem Bildschirm das ungewöhnliche Gebäude der WindPro erblickte, in dem sie heute die Leiche gefunden hatten. Sie stellte den Ton an. Allerdings ging es in dem Bericht nicht etwa um den Toten, sondern um einen Windpark, der in der Nähe von Eppstein errichtet werden sollte. Ein dunkelhaariger Mann kam ins Bild. Er stand auf einer Wiese, hinter ihm hielten ein paar Leute Protestschilder hoch.
»Die vorgelegten Windgutachten sind eine Farce, das beweisen zwei Gegengutachten, die wir in Auftrag gegeben haben« , sagte der Mann gerade in sachlichem Tonfall. »Aber das interessiert niemanden. Genauso wenig, dass für dieses unsinnige Projekt auf einer Fläche, die bis vor kurzem übrigens noch unter Naturschutz stand, wertvoller Baumbestand vernichtet wird, ja sie schrecken nicht einmal davor zurück, eine artengeschützte Feldhamsterpopulation auszurotten, um die erforderlichen Auflagen für die Baugenehmigung zu bekommen  ⦠«
Sein Name wurde eingeblendet, und Pia fuhr wie von der Tarantel gestochen vom Sofa hoch. Sie lief in die Küche, pflückte ihr Handy vom Ladekabel und tippte auf die Rufwiederholung. Theissen hatte schon wieder gelogen! Ungeduldig ging sie zurück ins Wohnzimmer und verfolgte den Rest des Beitrags, bis sich ihr Chef am anderen Ende der Leitung endlich meldete.
September 1997
Ihre erste Begegnung. Nicht vor einer Woche, wie es ihr schien, sondern vor zwölf Jahren.
Auf dem Jahrestag der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft in Kiel wurde ihr der Karl-Zoeppitz-Preis für hervorragende Leistungen von Nachwuchswissenschaftlern verliehen. Und gleichzeitig erfuhr sie, dass sie das begehrte Promotionsstipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erhalten würde. Sie war stolz und überglücklich, berauscht vom Hochgefühl dieses Erfolges, den sie sich selbst hart erarbeitet hatte.
Sämtliche Koryphäen im Publikum erhoben sich von ihren Plätzen und spendeten ihr für diese Auszeichnungen herzlichen Applaus, ein ganz und gar unwirkliches Gefühl. Später, an der Bar, stand plötzlich ein Mann neben ihr.
»Sie leuchten ja richtig«, sagte er zu ihr und lächelte dabei ein wenig überheblich. »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Erfolg!«
Arroganter Idiot, dachte sie, erst dann sah sie genauer hin. Etwas an ihm nahm sie sofort gefangen. Was war es? Seine lässige, selbstbewusste Körperhaltung? Die tiefliegenden blauen Augen? Sein sinnlicher Mund, der dem markanten Gesicht mit dem vorspringenden Kinn eine ungewöhnliche Note verlieh? Sie starrte ihn stumm an, ihre Gedanken überschlugen sich. Das Wort »sinnlich« kam in ihrem
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