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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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erwiderte er und blickte von den Tabellen und Zahlen auf.
    Ihren bizarren Aufzug hätte er an jeder anderen Frau peinlich gefunden, bei ihr fand er es exotisch und wunderbar uneitel. Sie trug einen langen Blümchenrock, eine olivfarbene Bluse und eine unförmige Strickjacke, deren Wolle irgendwann einmal grün gewesen sein mochte. Ihre Füße steckten in ausgelatschten Tennisschuhen. Seitdem er wusste, wie sie unter diesen eigenartigen Klamotten aussah, störte es ihn überhaupt nicht mehr.
    Â»Hast du schon was gegessen?«, fragte er betont beiläufig, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug.
    Â»Nein. Was hast du denn anzubieten?«
    Â»Lachslasagne. Und Kartoffelsalat.«
    Nikas Blick fiel auf die leere Verpackung.
    Â»O nein, vielen Dank. Aldi-Delikatessen müssen heute nicht sein.«
    Dank Rickys Vorliebe für schnelle Küche war Jannis nach und nach in den Genuss des kompletten Tiefkühl- und Fertigsalatsortiments der umliegenden Supermärkte gekommen, mit dem sie den Kühlschrank vollstopfte.
    Â»Der Kartoffelsalat ist immerhin von Rewe«, entgegnete er.
    Da lächelte Nika, und es verschlug ihm die Sprache, wie so oft in letzter Zeit. Er war nur sehr selten um Worte verlegen, deshalb verunsicherte ihn die Befangenheit, die ihn neuerdings in Nikas Gegenwart ergriff. Sie schien seinen Zustand allerdings nicht zu bemerken.
    Â»Ich mache mir lieber ein Brot«, sagte sie und öffnete den Kühlschrank. Jannis lud Lasagne und Kartoffelsalat auf einen Teller, nahm Besteck aus einer Schublade und setzte sich an den Tisch. Er schob die Papierberge zur Seite.
    Â»Was hast du denn da?«, fragte Nika mit einem neugierigen Blick über die Schulter, während sie eine Tomate halbierte.
    Â»Ein paar Gutachten«, antwortete Jannis kauend. »Ich brauche noch schlagkräftige Argumente für heute Abend.«
    Â»Ach so.« Nikas Interesse erlosch. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein, nahm am Tisch Platz und begann, ihr Tomaten-Gurken-Sandwich zu essen. Jannis zermarterte sich das Gehirn nach einem Gesprächsthema, das ihr mehr als ein einsilbiges ›Danke‹, ›Ja‹ oder ›Nein‹ entlocken würde.
    Â»War heute viel los im Laden?«, fragte er schließlich und blickte sie an.
    Â»Für einen Dienstag war’s okay«, erwiderte sie. »Der Onlineshop läuft erstaunlich gut an.«
    Dankbar stürzte Jannis sich auf dieses Thema, er redete wie ein Wasserfall über die Vor- und Nachteile des Internethandels. Nika nickte hin und wieder und lächelte zerstreut, aber er merkte, dass sie in Gedanken ganz woanders war. Als sie aufgegessen hatte, schob sie den Teller zur Seite, beugte sich über den Tisch und zog die Zeitung, die er am Morgen liegen gelassen hatte, zu sich heran.
    Jannis betrachtete sie verstohlen von der Seite. Wie würde sie reagieren, wenn er ihr jetzt gestand, wie verrückt er nach ihr war? Sollte er es einfach wagen? Nichts war peinlicher als eine Zurückweisung, aber er hielt diesen Zustand nicht mehr aus. Während er noch überlegte, wie er es anstellen und was er sagen könnte, schlug Nika eine Seite um und zuckte zusammen, als sei ihr aus der Zeitung ein Geist entgegengesprungen. Die Hand, in der sie das Glas hielt, begann heftig zu zittern. Für den Bruchteil einer Sekunde flog ein Ausdruck des Entsetzens über ihr sonst so beherrschtes Madonnengesicht.
    Â»Was ist denn?«, erkundigte er sich besorgt. Sie stellte das Glas ab, schluckte und schüttelte den Kopf. In ihren Augen flackerte Bestürzung. Rasch schlug sie den Blick nieder.
    Â»Ach, nichts.« Sie hatte sich wieder im Griff, faltete schnell die Zeitung zusammen und erhob sich, bevor er noch etwas sagen konnte. »Wir sehen uns später. Ich muss wieder los.«
    Damit verschwand sie in den Keller. Jannis blickte ihr verwundert und ein wenig gekränkt nach. Was war das denn gewesen? Er beugte sich über den Tisch, angelte nach der Zeitung und blätterte sie Seite um Seite durch, aber er fand nichts, was Nikas Erschrecken begründet hätte. War es ein Name in einer der schwarz umrandeten Todesanzeigen, der sie so schockiert hatte? Falls ja, welcher? Wie hieß Nika eigentlich mit Nachnamen? Einen Mietvertrag für die Souterrainwohnung hatten sie mit ihr nie gemacht, sie war ja eine alte Freundin von Ricky. Jannis runzelte die Stirn. Er wusste so gut wie nichts über die Frau, mit der er seit einem

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