Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
»Der riecht das sofort, und dann hast du ganz schlechte Karten.«
    Â»Die hab ich sowieso«, antwortete Matthias düster. Er setzte das Glas an, kippte den Cognac auf einmal herunter und schüttelte sich. »Willst du auch einen?«
    Â»Nein.«
    Der Hund bellte draußen in seinem Zwinger, sein Kumpel, der zahme Kolkrabe, krächzte dazu. Wenig später ging die Haustür auf, und Gregor betrat mit finsterer Miene das Haus.
    Â»Wie ich diesen ganzen Hof hasse.« Er schaltete sein iPhone aus und schob es in die Hosentasche. »Was trinkst du?«
    Â»Cognac.« Matthias verzog das Gesicht. »Der Rest ist noch schlimmer.«
    Gregor griff an seinem jüngeren Bruder vorbei in den Schrank und bediente sich ebenfalls. Schweigend standen sie nebeneinander, jeder gedanklich in seiner eigenen Misere versunken.
    Frauke richtete ihren Blick wieder auf die Straße, die ins Dorf hinunterführte. Was, wenn Jannis und seine Leute Erfolg hatten und mit ihren Unterschriften tatsächlich den Bau des Windparks verhindern konnten? Der Vater musste heute Abend dem Verkauf der Wiese zustimmen, sonst würde der ganze Deal scheitern. Wenn sie erst das Geld hatten, konnte es ihnen egal sein, ob die Windräder gebaut würden oder nicht.
    Die alte Standuhr neben dem Fernsehschrank schlug zehnmal. Der Hund hatte mittlerweile aufgehört zu bellen. Gregor kontrollierte erneut sein iPhone und fluchte leise vor sich hin. Matthias ging in die Küche.
    Heute würde Frauke ihren Vater zum ersten Mal seit ihrem Auszug vor zwei Jahren wiedersehen. Sie hatte ihn nicht vermisst. Zu viele böse Worte waren zwischen ihnen gefallen. Den Vorwurf, die Mutter habe nur deshalb Krebs bekommen, weil er ihr das Leben mit seiner Sturheit und seiner Besserwisserei zur Hölle gemacht hatte, würde er ihr niemals verzeihen.
    Früher einmal, in ihrer Kindheit, hatte Frauke ihren Vater geliebt und bewundert und hatte ihn gerne und oft in den Wald begleitet. Auf jede ihrer vielen Fragen wusste er eine Antwort, er hatte in ihr die Liebe zur Natur und den Tieren geweckt, und sie hatte seine Leidenschaft für die Jagd geteilt. Doch dann war sie in die Pubertät gekommen und hatte plötzlich stark zugenommen. Am Anfang hatte er sie nur geneckt. Pummelchen, hatte er sie genannt, leider auch in aller Öffentlichkeit. Das sei nur Backfischspeck, hatte er behauptet, der würde wieder verschwinden. Doch der Speck blieb und wurde mehr, und der Vater hatte begonnen, ihr Gewicht zu kontrollieren. Jeden Morgen hatte sie sich in BH und Slip auf die Waage im Elternbadezimmer stellen müssen, und er hatte mit gefurchter Stirn ihr Gewicht in einer Tabelle notiert. Damals hatte sie angefangen ihn zu hassen. An ihrem sechzehnten Geburtstag hatte sie die Hundert-Kilo-Marke geknackt. Ihr Essen wurde rationiert. Sie wurde zu einer Ernährungsberaterin geschickt. Mit siebzehn waren die Bänder in ihren Knien kaputt, Schulsport unmöglich geworden. Frauke hatte sich für ihren unförmigen Körper geschämt und versucht, ihn unter zeltgroßen Norwegerpullovern zu verbergen. Und weiterhin hatte sie jeden Morgen die erniedrigende Prozedur über sich ergehen lassen müssen. Noch heute, nach mehr als dreißig Jahren, spürte Frauke den hilflosen Hass in sich aufsteigen, den sie jedes Mal empfunden hatte, wenn ihr Vater sie auf die Waage gezwungen hatte.
    Scheinwerfer krochen durch die Dunkelheit die schmale Straße hoch, die am Hof vorbeiführte und an einem Parkplatz am Waldrand endete. »Da kommt ein Auto«, sagte sie. »Macht das Licht aus!«
    Es klackte, als Matthias auf den Lichtschalter neben der Tür drückte, die Deckenlampe verlosch, es war stockdunkel. Frauke hörte die Atemzüge ihrer Brüder in der Stille.
    Â»Er wird niemals zustimmen«, sagte Matthias mit Grabesstimme. »Vielleicht enterbt er uns wirklich noch, wenn wir ihn weiter unter Druck setzen.«
    Â»Jetzt hör schon auf«, fuhr Gregor seinen jüngeren Bruder an. »Wir haben doch genau besprochen, wie wir es machen. Und das ziehen wir jetzt durch.«

Mittwoch, 13. Mai 2009
    Sie fuhr aus dem Schlaf hoch und blickte irritiert in die Dunkelheit. Was hatte sie geweckt? Der Apfelwein, den sie in der Krone getrunken hatte, drückte auf ihre Blase. Nika tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste sie an. 3 : 27 Uhr. Die Hunde bellten, dann hörte sie Rickys Stimme, und das Gebell brach

Weitere Kostenlose Bücher