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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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ab. Kein Wunder, dass Ricky nicht schlafen konnte! Hirtreiters Attacke bei der Vorstandssitzung gestern Abend war unglaublich verletzend gewesen, und Jannis hatte kein Wort des Trostes für Ricky gehabt. Er hatte sich einfach stumm in sein Auto gesetzt und war verschwunden. Frauke, Mark und sie waren mit Ricky gefahren, und Ricky hatte bis nach Königstein nur geweint.
    Nika zögerte einen Moment, dann schlug sie die Bettdecke zurück. Sie musste aufs Klo gehen, sonst würde sie nicht mehr einschlafen können. Gerade als sie den kleinen Flur zum Bad überquerte, erklang wieder Rickys Stimme von oben. Das Haus war ohnehin hellhörig, aber sie gab sich auch keine Mühe, leise zu sprechen.
    Â»Kannst du mir mal verraten, wo du jetzt schon wieder herkommst?«, fragte sie mit ungewohnter Schärfe.
    Nika stand in der Tür des Badezimmers und lauschte nach oben. Seitdem sie bei Ricky und Jannis wohnte, hatte sie die beiden nie anders als übertrieben höflich miteinander sprechen hören. Das hatte sie anfangs befremdet, aber sie hatte sich daran gewöhnt, auch wenn dieses Verhalten so gar nicht zu der Ricky passte, die sie von früher kannte. Jetzt aber vergaß die Freundin jede Zurückhaltung und griff tief in die Schimpfwörterkiste. Die Ausdrücke, mit denen sie Jannis titulierte, waren nicht viel besser als die, die der alte Hirtreiter ihr ein paar Stunden zuvor an den Kopf geworfen hatte. Jannis’ Antwort konnte Nika nicht verstehen, er sprach zu leise, dafür war Rickys Reaktion umso vehementer. Es krachte und schepperte. Irgendetwas war zu Bruch gegangen.
    Â»Sag mal, drehst du jetzt komplett durch?«, schrie Jannis. »Was soll denn der Zirkus?«
    Â»Ich will wissen, wo du wieder gewesen bist!«, keifte Ricky. »Und wie siehst du überhaupt aus? Wo kommt das Blut her?«
    Der Fliesenboden unter Nikas nackten Füßen war kalt, sie fror. Jannis war in den letzten Wochen öfter erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen. Manchmal war auch Ricky noch spätnachts unterwegs; Nika vermutete, dass sie Jannis suchte. Ricky tat, als sei alles in bester Ordnung, aber man sah ihr an, wie sehr sie darunter litt.
    Â»Wenn ich rauskriege, dass du eine andere hast, kannst du dein blaues Wunder erleben!«, kreischte sie, dann folgte auf einen dumpfen Schlag verzweifeltes Schluchzen. Nika hielt den Atem an. Rickys Verdacht war nicht ganz unbegründet. Sie schauderte bei dem Gedanken an den Tag, an dem Jannis ihr vor dem Badezimmer aufgelauert und sie lüstern angeglotzt hatte. Seine fadenscheinige Erklärung, er habe nur eine Flasche Wein holen wollen, hatte sie nicht geglaubt. Seither verfolgte er sie mit Blicken, die ihr nicht behagten. Nika mochte Jannis nicht. Er war unberechenbar. Hinter seiner glatten, beredten Fassade brodelte etwas Rücksichtsloses. Vor allen Dingen wollte Nika keinen Ärger mit Ricky bekommen, nur weil deren Freund plötzlich unerklärliche Sympathien für sie entwickelt hatte. Sie schloss leise die Tür des Badezimmers hinter sich, machte Licht und ging aufs Klo. Warum war Ricky überhaupt mit Jannis zusammen? Früher hatte sie eine Vorliebe für durchtrainierte, sportliche Sonnyboys gehabt, die durch die Bank oberflächlich und ein bisschen hohlköpfig gewesen waren, dafür aber witzig, unterhaltsam und nett. Kein einziges dieser Attribute ließ sich auch nur annähernd mit Jannis Theodorakis in Verbindung bringen. Er war viel zu intellektuell, zu politisch und zu kompliziert. Hatte Ricky Angst, mit zweiundvierzig Jahren ohne Mann dazustehen? Hatte sie sich deshalb einfach an den Erstbesten geklammert, nachdem ihr letzter Freund sie nach sieben Jahren von einem Tag auf den anderen verlassen hatte? Verlustangst würde auch diese übertriebene Freundlichkeit erklären, mit der sie Jannis behandelte. Schatz hier, Liebling dort. Nie gab es Streit, nie ein böses Wort – es herrschte eine geradezu unheimliche Harmonie. Da Jannis aus seiner Abneigung gegen Amerika keinen Hehl machte, hatte Ricky auch nie mehr ihren Jugendtraum erwähnt, in Kalifornien ein Ponyhotel aufzuziehen. Hatte sie das aufgegeben, nur um einen Mann zu halten, der sich eigentlich nichts aus ihr machte? Denn so war es. Jannis verachtete sie insgeheim, und sie merkte es nicht.
    Nika wartete noch ein paar Minuten, und als sie wenig später über den kalten, dunklen Flur zurück zu ihrem Zimmer tappte,

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