Wer Wind sät
Zeitung wieder in die blaue Tonne und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück. âºProfessor Dirk Eisenhutâ¹ tippte er bei Google ein, dann das Pluszeichen und den Namen âºNikaâ¹. Er staunte nicht schlecht über die Anzahl der Treffer und begann zu lesen.
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»Nein! Und das ist mein allerletztes Wort!« Ludwig Hirtreiter knallte den Telefonhörer auf die Gabel des altmodischen schwarzen Telefons, das seit dreiÃig Jahren auf der Kommode in der Diele stand. Tell hatte die Schnauze auf die Vorderpfoten gelegt, von seiner Decke neben der Haustür aus verfolgte er mit seinen bernsteinfarbenen Augen jede Bewegung seines Herrchens. Ludwig Hirtreiter stapfte ins Wohnzimmer, öffnete die Türen des buntbemalten Bauernschrankes und ergriff die Flasche Obstbrand. Eigentlich trank er am helllichten Tag keinen Alkohol, aber diese ganze Angelegenheit regte ihn derart auf, dass er jetzt etwas zur Beruhigung brauchte. Seine Hand zitterte leicht, als er sich den Obstler einschenkte und herunterkippte. Er verzog das Gesicht. Der hochprozentige Schnaps brannte in seiner Speiseröhre und in seinem Magen, aber er tat seine Wirkung. Nach einem zweiten Glas trat Hirtreiter an die Fensterfront des Wohnzimmers, streckte den Rücken, bis seine Wirbel und Schlüsselbeine knackten, und atmete ein paar Mal tief durch. Wieso lieà er sich nur immer wieder derart provozieren? Er musste Ruhe bewahren. In der Reha damals hatten sie es ihm wieder und wieder eingetrichtert: Jede Aufregung schadet Ihrem Herzen! Einen zweiten Herzanfall überleben Sie nicht. Aber wie konnte er ruhig bleiben, jetzt, wo seine Söhne sich mit Frauke gegen ihn verbündet hatten? Auf dem Wohnzimmertisch lag das neue Angebot der WindPro, das dieser unangenehme Theissen persönlich vorbeigebracht hatte. Drei Millionen, schwarz auf weiÃ! Innerhalb von vierundzwanzig Stunden sollte er sich entscheiden.
Ludwig Hirtreiter starrte durch die rosa Wolken der Kirschbaumblüten im Garten zur Pfaffenwiese hinüber, die schuld an all den Zwistigkeiten war. In leuchtend grüner Unschuld lag sie da, die Wiese von 2500 Quadratmetern, die nur zwei Mal im Jahr vom letzten Fünf-Uhr-Bauern aus dem Dorf für die Heuernte genutzt wurde und sonst einfach nur brachlag. Und ganz unverhofft so wertvoll wie ein Ãlfeld war. Ludwig Hirtreiter hörte das tappende Geräusch von Pfoten, das Kratzen von hornigen Krallen auf dem Fliesenboden. Er lieà seine Hand herabsinken und spürte eine feuchte Nase in seiner Handfläche.
»Die können uns mal alle gern haben, was?«, sagte er zu seinem Hund, der mit einem Schwanzwedeln antwortete. Er durfte sich nicht weiter aufregen, denn er brauchte seine Nerven und einen klaren Verstand für das Vorstandstreffen in zwei Stunden und für die Bürgerversammlung morgen Abend. Vielleicht löste sich das ganze Problem ja von selbst. Wenn der Bau des Windparks in letzter Minute gestoppt würde, gab es für die WindPro keine Veranlassung mehr, so viel Geld für die Pfaffenwiese zu bezahlen. Dann konnte er in aller Ruhe bis an sein Lebensende im Sessel sitzen und hinüber auf die Wiese und die Wälder des Taunus schauen, wie er das seit über vierzig Jahren tat.
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Das Nudelwasser kochte. Pia gab einen Schuss Olivenöl, eine Prise Chili und etwas mehr als eine Prise Salz hinein und zum Schluss die Spaghettini. In der Pfanne auf der anderen Kochplatte schmolz ein Stück Butter. Sie nippte am Rotwein in ihrem Glas, der genau die richtige Temperatur hatte.
»Ich glaube, ich habe was gefunden«, sagte Christoph hinter ihr. »Hör mal, das klingt gut.«
Er saà an seinem Laptop am Küchentisch, die Lesebrille auf der Nase, und durchsuchte das Internet nach einer neuen Bleibe. Seitdem das Bauamt der Stadt Frankfurt im vergangenen Jahr den Abriss des Hauses auf dem Birkenhof verfügt hatte, waren ihre Tage hier gezählt, selbst wenn durch ihren Einspruch die ganze Sache noch eine Weile herausgezögert werden konnte.
»Bauernhof mit Wohnhaus, Scheune und Stallungen«, las Christoph vor. » 2 Hektar Eigenland, 10 Hektar Pachtwiesen â¦Â«
»Wo?«, erkundigte sich Pia und schnitt eine Zehe Knoblauch in hauchdünne Scheiben.
»Bei Usingen.«
»Zu weit weg.« Pia schüttelte den Kopf und schaltete die Dunstabzugshaube auf Stufe drei. Pinienkerne und Knoblauch wanderten in das heiÃe Fett, sie reduzierte die Hitze und wartete,
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