Wer Wind sät
schien sich der Streit im Erdgeschoss über ihr gelegt zu haben. Plötzlich vernahm sie Keuchen und unterdrücktes Stöhnen und begriff. Sie huschte zurück in ihr Zimmer, schlüpfte ins Bett und starrte an die dunkle Zimmerdecke. Auf einmal kamen die Tränen. Sie rollte sich zusammen und zog die Bettdecke über ihren Kopf, um nichts mehr zu hören. Vielleicht hatte Ricky ja recht. Lieber einen Mann, der sie nicht liebte, als allein zu sein. Einsamkeit war entsetzlich. Das war Nika selten so schmerzlich bewusst geworden wie in diesen schier endlosen Minuten, in denen Jannis geräuschvoll den Beweis erbrachte, dass er sein Pulver in dieser Nacht noch nicht anderswo verschossen hatte.
*
Es war kurz vor sieben, als Graf Heinrich von Bodenstein an der Krone vorbeifuhr und in den asphaltierten Feldweg einbog, der zum Rabenhof führte. Die Vorstandssitzung gestern Abend hatte das bittere Gefühl des Versagens in ihm hinterlassen. So weit hätte es nicht kommen dürfen! Er hätte eingreifen, vermitteln, irgendetwas tun sollen, aber er hatte feige den Mund gehalten, als die Diskussion zu einem bösen Streit zwischen Ludwig und Jannis eskaliert war. Nach dem Treffen hatten Ludwig und er noch eine ganze Weile in der Krone gesessen, dieses Thema aber sorgfältig vermieden. Ludwig hatte gegen seinen Rat die Höhe des Angebots der WindPro verschwiegen, dabei hätte doch gerade die Tatsache, dass Ludwig so viel Geld zugunsten der gemeinsamen Sache ausgeschlagen hatte, Eindruck bei den anderen gemacht. Nun war es zu spät. Irgendwie hatte Jannis von der Höhe des Angebots erfahren, die gewaltige Summe via E-Mail-Verteiler der Bürgerinitiative publik gemacht und damit einen Keil zwischen die Mitglieder getrieben. Die heftige Diskussion hatte Ludwig tief erbittert, er hatte die Beherrschung verloren, und die ganze Sache war völlig aus dem Ruder gelaufen. Nachdem Jannis und Ricky gegangen waren, hatte eine unangenehme gespannte Stimmung geherrscht, man hatte die restlichen Punkte der Tagesordnung rasch abgehandelt und die Sitzung beendet. Nein, es war kein guter Abend gewesen, und daran konnte man nicht nur Jannis die Schuld geben. Heinrich von Bodenstein seufzte. Ludwig hatte sich in den letzten Jahren wirklich sehr verändert.
Die Dunkelheit verwandelte sich allmählich in ein diesiges Grau, das wohl alles war, was der Tag heute bringen würde. Die Wettervorhersage hatte Regen prognostiziert. Gerade als er vor dem Rabenhof nach links zum Waldparkplatz abbiegen wollte, sah er Licht in Ludwigs Haus. Das war merkwürdig. Warum hatte Ludwig ihn nicht angerufen, um ihm zu sagen, dass er nicht in den Wald gegangen war? Hoffentlich war nichts passiert. Er stellte seinen Jeep im Hof ab, stieg aus und ging zum Haus. Die Haustür war nur angelehnt. Bodenstein klopfte. Keine Antwort. Er trat in die Diele.
»Ludwig? Bist du da? Ich habe uns Frühstück mitgebracht!«
Nichts. Der Freund hatte gestern Abend schlecht ausgesehen. Der Ãrger mit seinen Kindern, der Krach mit Jannis und die Sache mit dem Windpark machten ihm mehr zu schaffen, als er jemals zugeben würde. Aber selbst wenn Ludwig etwas zugestoÃen war, so hätte wenigstens Tell reagieren müssen! Heinrich von Bodenstein warf einen Blick ins unaufgeräumte Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen zwei leere Cognacgläser. Ob er gestern noch Besuch gehabt hatte?
»Ludwig!«
Bodenstein blickte ins Schlafzimmer. Das Bett war ungemacht, aber leer. Ludwig war nicht im Bad und nicht in der Küche. Zuletzt schaute er in das Esszimmer, sein Blick fiel auf den Waffenschrank. Drilling und Mauser fehlten. Also war er doch im Wald! Sie hatten in der Krone noch das ein oder andere Bier getrunken und danach ein paar Schnäpse, vielleicht hatte Ludwig einfach vergessen, die Haustür zu schlieÃen, als er aufgebrochen war. Heinrich von Bodenstein verlieà das Haus, überquerte den Hof und warf einen Blick durch das kleine Fenster in die Garage. Ludwigs alter Mercedes stand da, er war also nicht mit dem Hund irgendwohin gefahren. Er blieb mitten im Hof unter der groÃen Kastanie stehen und blickte sich unschlüssig um. Die Vögel zwitscherten in den Baumkronen, es war ein wenig heller geworden. Eine Bewegung auf der Obstbaumwiese hinter Haus und Scheune erregte seine Aufmerksamkeit. Im fahlen Morgenlicht nahm er einen rötlichen Fleck wahr. Ein Fuchs! Er setzte sich in Bewegung und klatschte in die
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