Wer Wind sät
nicht. Tut mir leid.«
»Bitte geben Sie ihm meine Karte.« Die Polizistin reichte ihr eine Visitenkarte. »Er soll uns dringend anrufen. Es ist wichtig.«
»Ja, okay. Mach ich.«
Sie zogen ab, ohne weitere Fragen zu stellen. Nikas Beine waren butterweich vor Erleichterung, und sie hatte das Gefühl, nur ganz knapp davongekommen zu sein. Sie schloss die Haustür und schaute ihnen durch das kleine Fenster neben der Tür nach, bis sie ins Auto gestiegen und davongefahren waren. Warum wollte die Kripo mit Jannis reden? Was hatte er getan? Plötzlich setzten sich einzelne Puzzlestückchen, die in ihrem Kopf herumschwirrten, zu einem Ganzen zusammen. Jannis war erst heute Morgen nach Hause gekommen. Vorhin im Laden hatte er weder überrascht noch schockiert gewirkt, als sie ihm erzählt hatte, dass Ludwig erschossen worden war. Sie dachte an das Blut am T-Shirt und der Jeans, die unten in der Waschküche im Korb lagen, an Jannisâ Zorn auf Hirtreiter. An seine krebsroten Hände und Arme. Die Polizei konnte Schmauchspuren an den Händen feststellen, wenn jemand eine Waffe abgefeuert hatte! Vielleicht hatte er versucht, sie mit irgendeiner Chemikalie abzuwaschen. GroÃer Gott! Nika sank auf die unterste Stufe der Treppe. Wenn Jannis tatsächlich Ludwig erschossen hatte, dann würde die Polizei wieder auftauchen und neugierig herumschnüffeln. Sie musste verschwinden.
*
Der Himmel war metallgrau, es goss in Strömen. Und kalt war es auch. Eher November- als Maiwetter. Pia und Cem sahen sich auf dem Rabenhof um, während eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei und eine Hundestaffel das riesige Grundstück und den angrenzenden Wald nach den verschwundenen Waffen absuchten.
Sie schlenderten durch die ehemaligen Stallungen, die früher wohl Kühe und Schweine beherbergt hatten. Es gab ein Schlachthaus mit einer Rohrbahn an der Decke und einem altertümlichen Kühlraum. In einer kleinen Halle nebenan roch es süÃlich nach Ãpfeln, die in übereinandergestapelten Holzkisten vor sich hin faulten. Hier stand eine Kelter, und von den drei groÃen Plastiktanks war einer noch mit Apfelwein gefüllt. Auch die unaufgeräumte Werkstatt kündete davon, dass Ludwig Hirtreiter die Arbeit auf dem Hof zu viel geworden war: In der Mitte stand ein alter Traktor, bei dem ein Reifen abmontiert war. Der neue Reifen lehnte daneben, der Staubschicht nach zu urteilen bereits seit geraumer Zeit. An der Wand über der Werkbank hing ein Kalender von 2002 .
Sie gingen weiter zu der Scheune, die ein Stück abseits stand und unter den Ranken des immergrünen Efeus zu ersticken schien. Früher mochte die Wiese zwischen dem Hof und der Scheune ein hübsches Rasenviereck mit Ziersträuchern und gepflegten Rhododendren gewesen sein, jetzt war sie verwildert, die Sträucher hatten sich in ein undurchdringliches Gestrüpp verwandelt.
»Das ist ja ein riesiges Gelände«, sagte Cem. Er ging über die Wiese zu einem Brunnen, der mit einer rissigen Holzplatte abgedeckt war. »Hätte ich auf den ersten Blick gar nicht gedacht.«
»Und es gibt ordentlich viele Möglichkeiten, zwei Gewehre und eine Pistole verschwinden zu lassen«, bestätigte Pia missmutig. Ihre einzige Hoffnung war, dass Hirtreiters Mörder die Waffen einfach weggeworfen hatte, statt sie irgendwo sorgfältig zu verstecken. Ihr Handy klingelte. Die beiden Taucher, die den Teich absuchen sollten, waren eingetroffen. Cem und sie schoben mit einiger Mühe das Scheunentor zur Seite.
»Das gibtâs doch nicht!«, staunte Cem. Neben einem uralten Traktor standen zwei völlig verstaubte Oldtimer, ein dunkelgrüner Morgan Roadster und ein silberner Mercedes mit Flügeltüren und roten Ledersitzen.
»Sind die was wert?« Pia hatte keine Ahnung von Autos, schon gar nicht von Oldtimern oder Sportwagen.
»Das will ich meinen.« Cem umrundete die beiden Autos mit leuchtenden Augen. »Besonders dieser 300 er SL , der ist ein Vermögen wert.«
Er zückte sein Handy und fotografierte die Fahrzeuge von allen Seiten.
»Kein Wunder, dass sich die Trauer der Hirtreiter-Kinder in Grenzen hält«, sagte Pia. »Die rechnen mit einem fetten Erbe.«
Bodenstein hatte ihr eben am Telefon erzählt, was in der Rechtsmedizin vorgefallen war. Gemeinsam schlossen Pia und Cem das Scheunentor wieder hinter sich und machten sich auf den Weg zum Teich. Der
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