Wer Wind sät
blinkenden Anrufbeantworter. Wäre die Polizistin nicht rechtzeitig aufgetaucht, hätte Theissen ihn noch schlimmer zugerichtet. Er hatte völlig die Beherrschung verloren. Wahrscheinlich waren es auch seine Leute gewesen, die in dem ganzen Durcheinander die Unterschriftenlisten geklaut hatten. Das war allerdings eine echte Katastrophe. Ãber zweitausend Unterschriften, die sie mühsam über Monate gesammelt hatten, waren futsch! Den Termin beim Regierungspräsidenten morgen musste er wohl oder übel absagen.
Er lieà sich mit einem Seufzer auf seinen Schreibtischstuhl sinken und berührte vorsichtig seine Nase, die höllisch weh tat. Da fiel sein Blick auf einen pinkfarbenen Post-it, der auf der Tastatur seines Computers klebte. Er las, was darauf stand, las es ungläubig ein zweites und ein drittes Mal. Sein Mund wurde trocken, sein Herz machte einen Satz. Was hatte das denn zu bedeuten? Er zerknüllte den Zettel und stopfte ihn in die Tasche seiner Jeans.
Hastig sprang er auf, löschte das Licht und schlich die Treppe hinunter. Die Hunde regten sich nicht in ihren Körben, und Ricky schnarchte im Wohnzimmer narkotisiert mit offenem Mund vor sich hin. Jannis öffnete die Kellertür und hielt kurz die Luft an, als das Scharnier quietschte. Vor Nikas Zimmer zögerte er. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, er holte tief Luft und trat ein. Der Schein der StraÃenlaterne vor dem Haus erhellte das Zimmer. Nika lag in ihrem Bett. Sie war wach und blickte ihn an, das Haar fiel offen auf ihre Schultern.
»Ich ⦠ich hab deine Nachricht gefunden«, flüsterte er heiser. Ein Auto fuhr drauÃen vorbei, das Licht der Scheinwerfer huschte durch den Raum. Die Sekunden verstrichen. Nika lag einfach nur da und sagte nichts.
»Ãber was wolltest du denn â¦Â«, begann er verwirrt, aber er verstummte, als sie plötzlich die Decke zurückschlug. Sie war nackt. Das Herz explodierte fast in seiner Brust. Er verstand die Welt nicht mehr. Was war nur in sie gefahren?
»Ich will gar nicht reden«, sagte sie leise. »Ich will mit dir schlafen.«
Deauville, Mai 2008
Es war der vorletzte Abend der fünftägigen Conférence internationale sur les changements climatiques , die im Casino von Deauville in der Normandie stattfand. Zu ihrem Vortrag am Nachmittag hatte ihr jeder gratuliert; nun freute sie sich auf den gemeinsamen Abend und eine Nacht mit Dirk. Es gab so viel zu erzählen, sie war ganz aufgekratzt.
Nach dem Essen ergriff er ihre Hände und blickte sie aus seinen meerblauen Augen ernst an. Unwillkürlich schoss ihr der verrückte Gedanke durch den Kopf, er werde ihr jetzt endlich den Antrag machen, auf den sie so lange wartete. Zehn Jahre Heimlichkeit waren genug, und das Haus in Potsdam war so gut wie bezugsfertig.
»Du bist meine beste Mitarbeiterin, Anna, das weiÃt du«, sagte er, und sie hing erwartungsvoll an seinen Lippen. »Ohne dich stünde ich nicht da, wo ich jetzt stehe. Ich verdanke dir so viel. Und deshalb sollst du es auch als Erste erfahren.«
Er holte tief Luft, seine Daumen streichelten zärtlich ihre Hände.
»Bettina und ich werden Anfang September heiraten.«
Die Worte trafen sie wie ein Faustschlag. Sie starrte ihn verständnislos an. Bettina? Was bedeutete ihm diese nebulöse Person, die sie für unwichtig gehalten und in den vergangenen Jahren kaum beachtet hatte, wenn sie mal aus dem Schwarzwald zu Besuch ins Institut kam? Sie hatte doch nichts mit seinem Leben zu tun, sie wohnte nicht einmal in Berlin!
Und was ist mit mir?, wollte sie fragen, aber kein Ton kam über ihre Lippen.
In jenen entsetzlichen Sekunden empfand sie keine Wut, sondern Schmerz über die grauenvolle, rabenschwarze Demütigung, die Erkenntnis, dass sie sich vollkommen in ihm getäuscht hatte. Der Boden tat sich unter ihr auf, sie hatte das Gefühl, in ein Loch zu stürzen. Sie war es doch, die die weiÃe Villa am Heiligen See gefunden hatte, sie hatte die Umbauarbeiten geleitet, unzählige Stunden mit Architekten und Handwerkern in dem Haus verbracht, von dem sie gedacht hatte, dass Dirk und sie dort zusammen leben würden. Und jetzt würde er eine andere Frau heiraten!
All die Jahre hatte sie sich etwas vorgemacht. In ihrer bescheuerten Verliebtheit hatte sie alles völlig falsch verstanden! Sie war für Dirk Eisenhut nichts als eine Mitarbeiterin, sein bestes Pferd im Stall, das
Weitere Kostenlose Bücher