Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
trocknete er sich ab.
    Auf der Fahrt von Hofheim nach Hause hatte er zum ersten Mal seit langem nicht das Bedürfnis verspürt, mit Cosima zu telefonieren, um ihr von seinen Erlebnissen zu erzählen. Stattdessen hatte er an Nika gedacht. Leider hatte er ihre Telefonnummer nicht, sonst hätte er sie angerufen, um sich nochmals bei ihr zu bedanken.
    Hastig schlüpfte er in Unterhose, Schlafanzughose und T-Shirt, die er sich bereitgelegt hatte, und verließ das Bad. Er war viel zu aufgedreht, um zu schlafen, deshalb ging er ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an.
    Wiederholungen irgendwelcher Soaps vom Vortag, eine Talkshow, eine Kochshow, noch eine Kochshow. Nur Mist. Verdammt. Jetzt saß er doch tatsächlich hier wie die Karikatur eines dieser Kommissare aus einem schwedischen Kriminalroman: alt, deprimiert und einsam. Frau weg, Kühlschrank leer, Leben sinnlos. Es gab Menschen, die fürs Alleinsein geschaffen waren, doch er gehörte definitiv nicht zu ihnen. Er wollte ein Zuhause, jemanden, mit dem er die Erlebnisse des Tages teilen konnte. Das Schweigen und die Einsamkeit an den Abenden machten ihn fast verrückt.
    Plötzlich klopfte es an der Haustür. Wer mochte denn das wohl sein, nachts um Viertel nach eins? Eine unsinnige Hoffnung durchzuckte ihn. Vielleicht war es Nika! Sie wusste schließlich, wo er wohnte. Bodenstein erhob sich mit einem Ächzen, schlurfte in seinen grauen Crocs zur Tür und öffnete sie.
    Â»Vater«, sagte er, gleichermaßen erstaunt und enttäuscht. »Ist etwas passiert?«
    Â»Aktuell nicht. Es handelt sich wohl eher um senile Bettflucht«, erwiderte der Graf trocken. »Und als ich bei dir noch Licht gesehen habe, dachte ich mir, du kannst wohl auch nicht schlafen.«
    Er zog hinter seinem Rücken eine Flasche hervor.
    Â»Ich war im Weinkeller. Vielleicht hast du ja Lust, mit deinem alten Vater einen 1990 er Château Figeac zu trinken.« Seine Miene war beherrscht, aber seine Stimme klang traurig. »Davon hatten Ludwig und ich damals jeweils zwei Kisten gekauft, als wir 1991 zum Jagen beim Comte de Figeac eingeladen waren. Das hier ist die letzte Flasche, und ich würde sie gerne mit dir trinken.«
    Â»Gute Idee«, sagte Bodenstein und ließ seinen Vater eintreten. Vielleicht gar nicht schlecht, wenn sie sich so gegenseitig vom Grübeln abhielten. Er holte aus der Küche zwei Weingläser und einen Korkenzieher, folgte seinem Vater ins Wohnzimmer und nahm ihm die Flasche ab. Der Korken schnalzte heraus. Bodenstein schnupperte. Perfekt. Er schenkte den dunkelroten Wein in die Gläser und reichte eines seinem Vater.
    Â»Danke, Oliver«, sagte der rau. »Du bist ein guter Junge. Tut mir leid, dass ich so ruppig zu dir war.«
    Â»Schon gut«, murmelte Bodenstein verlegen. »Ich war ja auch nicht gerade nett. Lass uns auf Ludwig trinken.«
    Â»Ja.« Bodenstein senior lächelte und hob sein Glas. Seine Augen glitzerten verdächtig. »Auf Ludwig. Und darauf, dass du seinen Mörder findest.«
    Sie tranken, saßen eine Weile stumm nebeneinander auf dem durchgesessenen Sofa. Auf einmal schien Bodensteins Vater etwas einzufallen. Umständlich zog er einen Briefumschlag aus der Innentasche seiner Jacke.
    Â»Was ist das?«, fragte Bodenstein.
    Â»Den hat Ludwig mir erst vor ein paar Wochen gegeben«, erwiderte sein Vater und lächelte traurig. »Er sagte, falls ich ihn überlebe, soll ich den Umschlag seinem Notar geben, wenn er mal stirbt. Komisch. Als hätte er eine Vorahnung gehabt.«
    *
    Auch Jannis konnte nicht schlafen. Auf der Fahrt von Ehlhalten nach Hause hatten Ricky und er gestritten, sie hatte ihm Vorwürfe gemacht und geheult. Zu Hause hatte sie sofort eine Schmerz- und eine Schlaftablette eingeworfen, jetzt lag sie auf der Couch im Wohnzimmer und schlief wie ein Murmeltier. Warum hatte sie vorhin bloß ohne jede Not für ihn gelogen? Seine Alibis waren hieb- und stichfest, auf seine Mama war in solchen Dingen hundertprozentig Verlass. Außerdem war er völlig überzeugend gewesen, das hatte er gemerkt. Erst etwas Verwirrung, dann Aufrichtigkeit, das funktionierte bei den Bullen immer. Wenn nur Ricky nicht so bescheuert dazwischengequakt hätte! Sie wusste einfach nie, wann sie ihren Mund zu halten hatte. Und natürlich war die Kommissarin misstrauisch geworden.
    Jannis schleppte sich die Treppe hoch in sein Arbeitszimmer und ignorierte den

Weitere Kostenlose Bücher