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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muss sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen.
    Wäre Hans Otto ein überzeugender Danton? Er wäre wohl zu schön für die Rolle, zu strahlend. Vor einem Dutzend Jahren hat er als blutjunger Anfänger am Künstlertheater in Frankfurt am Main unter dem Intendanten Adam Kuckhoff seine Karriere begonnen. Inzwischen ist er am Staatlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt engagiert, wo gerade die Proben zu ›Faust II‹ unter der Regie von Gustav Lindemann begonnen haben, mit Gustaf Gründgens als Mephisto und Hans Otto als Kaiser.
    »Ich wünschte, man könnte Gründgens für uns gewinnen«, sagt Hans Otto zu Adam Kuckhoff. »Ich wünschte, man könnte ihn zur Mitarbeit bewegen. Aber die Kollegen leben ja völlig auf die Premiere hin. Sie leben und reden, als wäre das Theater die wirkliche Welt, und was auf den Straßen geschieht, beträfe sie gar nicht. Na, du kennst das alles ja zur Genüge.«
    Adam Kuckhoff nickt. Er war Dramaturg am Schauspielhaus. Sein Freund Adolf Grimme, damals noch preußischerKultusminister, hatte ihm den Posten verschafft. Anfang dieses Jahres ist Adam aber gekündigt worden. Und er hat sich von Gertrud getrennt, seiner zweiten Frau. Gertrud ist die Schwester seiner ersten Frau Marie. Marie wiederum ist mit Hans Otto verheiratet, so dass Hans Otto nun also Adams Schwager und der Stiefvater von Adams und Maries Sohn Armin-Gerd Kuckhoff ist.
    »Gertrud leidet noch immer sehr unter der Trennung«, sagt Hans Otto. »Sie weint sich regelmäßig bei Marie aus. Sie will es einfach nicht wahrhaben, dass du endgültig gegangen sein sollst.«
    Gertruds Kummer ist natürlich zu bedauern. Aber Adam hat eben eine neue Liebe gefunden: Greta Lorke, fünfzehn Jahre jünger als er. Greta ist keine eigentlich schöne Frau. Aber sie hat Stil. Sie verfügt über eine Art natürlicher Eleganz, die bei günstigen Lichtverhältnissen ihr schlichtes glattes Haar, ihr fast männlich herbes Gesicht mit dem langen Kinn ins Hochinteressante veredeln kann: So sieht es jedenfalls Mildred.
    Greta und die Harnacks kennen einander aus Amerika. Greta Lorke hat ungefähr zur selben Zeit wie Arvid in Wisconsin studiert. Sie war es, die den letzten Rest amerikanischen Akzents aus Mildreds Deutsch getilgt hat: Sie hat Mildred den eleganten Tipp gegeben, es mit dem französischen R zu probieren, wenn ihr das deutsche schwerfällt. Mit dem Pariser R: also nicht Bwömöörrhaven , sondern Bchemerhaven, Mildred muss seitdem immer an Greta denken, wenn jemand ihre Aussprache lobt.
    In Deutschland haben sie einander aus den Augen verloren. Arvid und Mildred sind in die Provinz gezogen, sie haben in kleinen Universitätsstädten weiterstudiert, während Greta in Berlin Texte zum amerikanischen Aktienrecht übersetzt und Unterricht in Wirtschaftsenglisch erteilt hat,
    Defizit der Handelsbilanz – balance of trade deficit
    bilanzexterne Finanzierung – off-balance-sheet financing
    Ungefähr um die Zeit, als Arvid und Mildred nach Berlin zurückkehren und der Gedenkfeier zu Ehren Adolf von Harnacks beiwohnen, hat sich Greta entschlossen, zur Auflockerung ihres geistigen Lebens am IV. Internationalen Theaterkongress in Hamburg teilzunehmen. Und dort hat sie sich in Adam Kuckhoff verliebt.
    Greta Lorke und Adam Kuckhoff liegen auf Gretas Bett, in Gretas kleinem Berliner Mietzimmerchen. Es ist Juli 1930. Sie sind erst vor ein paar Tagen vom Hamburger Kongress zurückgekehrt. Soeben hat Adam Greta vorgeschlagen, am Sonntag in den Spreewald zu fahren. Er hat ihr von einem winzigen Wanderzirkus erzählt, der in der Nähe ihrer Wohnung gastiert und den man unbedingt besuchen sollte. Er hat ein selbstgedichtetes Couplet vorgetragen, wobei er sich selbst auf einer Geige begleitet hat, Adam sprüht vor Einfällen, vor Vitalität, vor Lebenslust. Greta könnte daran verzweifeln, dass sie ihm in Hamburg vorgelogen hat, sie hätte drei Söhne von drei verschiedenen Männern. Warum tut man so etwas? Warum beschädigt man sich selbst, aus Stolz, aus Angst, aus Scham, aus Übermut? Aber er sollte eben nicht denken, sie könnte womöglich eine alte Jungfer sein, mit ihren siebenundzwanzig Jahren. Er sollte nicht auf die Idee kommen, bisher hätte sie vielleicht kein anderer haben wollen.
    »Und ich will jetzt nur sagen, dass es alles nicht stimmt. Du bist

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