Wer wir sind
nicht mein erster Mann, natürlich nicht. Aber ich habe keine Kinder. Und ich habe nie jemanden wirklich geliebt. Das sollst du wissen. Du sollst wissen, dass diese Begegnung mit dir anders ist als alles Bisherige.«
Gretas Mutter würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagenangesichts eines solchen Bekenntnisses. Und Greta wird ihrer Mutter gleich recht geben, schon im nächsten Moment, wenn es wie immer zu spät sein wird.
»Ich muss dir auch etwas sagen.« Adams Stimme ist brüsk, fast zornig. »Ich bin verheiratet.«
Im selben Jahr verlässt Greta Deutschland. Sie zieht für drei luxuriöse Jahre nach Zürich, als Mitarbeiterin des Aktienrechtlers Rosendorf. Sie bewohnt ein Zimmer in einer Villa mit Blick auf den Park und blühende Veilchenwiesen. Sie besucht Theater, Museen, Konzerte. Die Familie ihres Arbeitgebers behandelt sie wie eine Tochter. Sie laden Greta zu kleinen Spritztouren nach Straßburg ein, um Froschschenkel, Schnecken und Paté foie zu essen. Greta lernt Austern zu schlürfen und Krebse zu zerlegen, sie erwirbt bleibende Kenntnisse über antike Möbel und moderne Kunst, ihr neuer Geliebter ist ein Schweizer Künstler. Greta verkehrt nun in Ateliers und Künstlercafés. Sie reist mit dem Freund, sie unternehmen wunderbare Ausflüge. Das Leben hat Glanz. Und was treibt sie dann 1933 zurück nach Deutschland?
Welche Sehnsucht, welche Unruhe, welcher ferne Ruf bewegt sie dazu, ihr schönes Zimmer zu räumen, die Rosendorfs zu verlassen, Freiheit und Sicherheit der Schweiz gegen Frankfurt am Main einzutauschen, wo die Nationalsozialisten soeben an die Macht gelangt sind? Findet Greta ihr Leben banal, hat sie das Luxusdasein satt? Treibt das Heimweh sie, das Verlangen nach einer anspruchsvolleren Tätigkeit? Oder ist ihr Adam Kuckhoff wieder eingefallen? Was ist Grund, was ist Ursache für den Entschluss, vom geraden Weg abzubiegen, den Pfad nach links oder nach rechts zu wählen?
Greta hat eine Stelle als Sekretärin des Soziologen Karl Mannheim angenommen. Adam Kuckhoffs Freund AdolfGrimme, zu jenem Zeitpunkt preußischer Kultusminister, hat Mannheim 1930 eine Professur am Institut für Sozialforschung in Frankfurt verschafft. Schon wenige Wochen nach Gretas Ankunft in Frankfurt muss der Professor allerdings aufgrund seiner jüdischen Abstammung emigrieren. Im Mai 1933 befindet sich Greta wieder in Berlin. Sie ist aufs Neue vereint mit Adam Kuckhoff.
»Adam Kuckhoff?«, sagt Arvid. Er und Greta sind einander auf der Straße begegnet. »Du hast dich in Adam Kuckhoff verliebt? Was für ein Zufall. Adam und ich kennen einander seit Jahren.«
Und könnten sie sich jetzt nicht einfach alle ein wenig anpassen, nun, wo die Straßenkämpfe endlich ein Ende gefunden haben und die Dinge entschieden sind? Könnten sie es nicht dabei bewenden lassen, dass sie sich um ihr berufliches Fortkommen kümmern, ihre Freundschaften pflegen, ihre Wohnungen gestalten, Wochenendausflüge in den Spreewald oder an die Havelseen und gelegentliche Ferienreisen in die Alpen oder an die Ostsee unternehmen?
Man muss jetzt eben bereit sein, sich in die Gemeinschaft einzugliedern. Man muss die Größe der Zeit erfassen, in der sich die Prophezeiung erfüllt: Das Volk wird zusammengeschmiedet, die neue Wirklichkeit wird erschaffen, nun ist niemand mehr allein. Nun ist jeder Einzelne geborgen wie im Mutterleib in der gleichbleibenden Wärme der Gemeinschaft, alle stehen zusammen in harmonischer Einigkeit, nicht mehr zerrissen von Partikularinteressen, sondern gemeinsam dem einen großen Ziel unterstellt.
Die Arplan ist aufgelöst. Die Druckplatten für Arvids Buch über die Sowjetunion hat der Rowohlt-Verlag zerstören lassen. Mrs. Turner von der Amerikanischen Kirche hat das Manuskriptvon Arvids zweitem Band über die vormarxistische Arbeiterbewegung in Amerika in Verwahrung genommen. Arvid Harnack und Adam Kuckhoff treffen sich jetzt häufig, um zu diskutieren.
»Letztlich ist auch der Sieg des Nationalsozialismus auf nichts anderes als ökonomische Fragen zurückzuführen«, sagt Arvid Harnack zu Adam Kuckhoff. »Aber wie ist dieser Sieg im Einzelnen zustande gekommen? Und wie soll es jetzt weitergehen? Der Nationalsozialismus wird nicht ewig währen. Aber was wird ihn ablösen? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen.«
Eine Neuauflage der Weimarer Republik kommt jedenfalls nicht in Frage. Es waren schließlich die Herrschenden von Weimar, die Hitler überhaupt erst an die Macht gebracht haben: die
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