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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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politischen Gegner zu überlassen. Ich halte das für einen schweren Fehler, politisch ebenso wie moralisch. Deutschland ist geografisch dazu berufen, eine wirtschaftliche und geistige Mittlerrolle zwischen Ost und West zu spielen. Dazu muss es sich von der Bevormundung durch die Weststaaten lösen. Das sowjetische Modell kann Deutschland dabei helfen, sich zu emanzipieren. Aber ich bin kein Russe. Ich bin Deutscher, ich habe ein Vaterland. Und das überlasse ich nicht Verbrechern, die Deutschland aus lauter Liebe in den Schmutz treten wollen. Ich überlasse ihnen das Wort nicht. Ich kann nicht akzeptieren, dass Worte wie Gemeinschaft, Freiheit oder Heimat zu Schleimbrocken werden, vor denen sich jeder anständige Mensch ekelt, weil diese sie in ihren unreinen Mündern geführt haben.«
    Einen Moment sind die anderen still. Dann sagt einer der Studenten vorsichtig: »Aber Sie sind jedenfalls ein Verfechter der Planwirtschaft.«
    »Natürlich«, sagt Arvid. »Selbstverständlich. Welcher denkende Mensch ist das nicht? Der westliche Kapitalismus hat so offensichtlich abgewirtschaftet. Die Sowjetunion ist die einzige Volkswirtschaft, die nicht unter der Depression leidet. Dnjepr-Staudamm, Weißmeerkanal, der Eisenbahnbau. Im Osten geht es bergauf, im Westen bergab.«
    Die Krise des Kapitalismus und die sowjetrussische Planwirtschaft haben Arvid schon während des Doktorandenseminars bei Professor Friedrich Lenz an der Universität von Gießen beschäftigt. Der Professor ist zu der Ansicht gelangt, dass Wirtschaftsplanung zunächst ein gesellschaftlich wertneutraler Begriff ist, ein Mittel einer jeden Wirtschaftsordnung, gebunden an den jeweiligen Charakter der Staatsgewalt.
    »Der totale Staatsplan im Sozialismus der Sowjetunion stellt sozusagen nur den einen Pol dar. Am anderen Pol löst sich der Begriff auf zur Planung schlechthin, wie sie im Grunde in jedem Privathaushalt stattfindet«, sagt Arvid. »Natürlich kann man sagen, der Kollektivstaat und seine totale Planung des individuellen Daseins stehen auf der einen Seite, die kapitalistische Individualgesellschaft auf der anderen. Aber ist nicht auch die kapitalistische Wirtschaftsordnung schon heute mit sozialistischen Gedanken durchsetzt? Greift Franklin D. Roosevelts geplanter New Deal nicht massiv in die Wirtschafts- und Sozialstrukturen ein?«
    Tatsächlich steht der amerikanische Präsident im Begriff, mit Edwin E. Witte und Arthur Altmeyer ehemalige Schüler von Arvid Harnacks Professor John R. Commons an der University of Wisconsin nach Washington zu holen, die das amerikanische Sozialversicherungssystem entwickeln werden.Commons und seine Schüler haben den optimistischen Glauben an eine harmonische Selbststeuerung der Wirtschaft niemals geteilt. Angesichts der Entwicklung ist dieser Glaube auch vernünftigerweise nicht mehr zu halten. Was nun nottut, ist eine gründliche Beschäftigung mit den Verhältnissen in der Sowjetunion. Eben dazu ist die Arplan ins Leben gerufen worden, die Arbeitsgemeinschaft zum Studium der sowjetischen Planwirtschaft.
    Den Anstoß zu ihrer Gründung hat Sergej Bessonow von der Handelsvertretung der UdSSR in Berlin gegeben. Das heißt nicht, dass alle fünfunddreißig Mitglieder glatte Kommunisten wären. Henryk Großmann vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main gehört der Arplan ebenso an wie der Herausgeber der ›Zeitschrift für Politik‹ und Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik Adolf Grabowsky, der Marxist und Sinologe August Wittfogel, der Nationalbolschewist Ernst Niekisch, der Philosoph und Literaturhistoriker Georg Lukács, der nationalrevolutionäre Schriftsteller Ernst Jünger, der Literaturwissenschaftler Alfred Kantorowicz und der antiliberale, dem Nationalsozialismus gewogene Rechtsphilosoph Carl Schmitt: Reine und Unreine, wie Bessonow intern gelegentlich spottet. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ist Arvids Professor Lenz.
    Arvid ist Erster Sekretär. Er unterhält enge Verbindungen zum Personal der russischen Botschaft Unter den Linden. Vor allem mit dem gebildeten und kultivierten Legationssekretär Alexander Hirschfeld isst er regelmäßig zu Mittag. Manchmal gesellt sich auch Klaus Mehnert zu ihnen, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas, Redakteur der Zeitschrift ›Osteuropa‹ und Arvids Assistent im Arplan-Sekretariat . Bei Schnitzel, Bratkartoffeln und einem kleinen Hellen plaudern sie über die jüngste Premiere des StaatlichenSchauspielhauses am

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