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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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der Pracht roter Teppiche, weißen Marmors, kostbarer Möbel der Zarenzeit. Militärs und Diplomaten, Politiker, Künstler und hochrangige Industrielle rangeln darum, an die Tische zu gelangen, die sich unter gefüllten Karaffen, Schüsseln mit Kaviar, Platten mit Störfilet biegen. Der Verleger Ernst Rowohlt und der Schriftsteller Ernst von Salomon haben sich zu dem Grüpplein um die Harnacks gesellt.
    Salomon ist ein typischer Vertreter seiner Generation: Für den Krieg war er zu jung, nicht aber für den Eintritt in das Freikorps des Leutnants Roßbach, mit dem er im Baltikum und in Oberschlesien gekämpft hat. Nach Auflösung des Freikorps ist Salomon in Kapitän Ehrhardts Organisation Consul eingetreten. Für seine Beteiligung an der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau ist er zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Die Haft hat ihn allerdings nicht wesentlichgebessert. Nach seiner Entlassung hat er in der Landvolkbewegung mitgemischt, der zahlreiche Anschläge zur Last gelegt werden,
    Herr Landrat, keine Bange,
    Sie leben nicht mehr lange!
    Schließlich hat Ernst Rowohlt angeregt, Salomon möge seine Erlebnisse doch einmal in Romanform zu Papier bringen. Erst zögerte der angehende Autor. Aber kurz darauf wurde er wegen eines provokatorischen Scheinanschlags auf das Reichstagsgebäude am 1. September 1929 wiederum verhaftet. In der Justizvollzugsanstalt Moabit fand er endlich die für die Schriftstellerei so unabdingbar nötige Zeit und Ruhe. Und Rowohlts Instinkt hat nicht getrogen: Ernst von Salomons Roman ›Die Geächteten‹ ist ein großer Erfolg.
    Es ist ein Buch ganz nach dem Herzen der heutigen Jugend, voll authentischer Schilderungen des blut- und kraftvollen Freikorps- und Geheimbundlebens der Nationalisten und Kämpfer der Nachkriegszeit, mit wahren Berichten über die Morde an Erzberger und Rathenau. Rowohlt ist sehr stolz auf seinen Autor. Salomon wird umschwärmt. Er ist überall ein gern gesehener Gast, in Mildreds kleinem Salon ebenso wie bei den Empfängen der amerikanischen oder der russischen Botschaft.
    »Seht mal, da ist Papen.«
    Es ist eine Sensation. Die Luft summt vor Spannung, kaum unterdrückbarer Erregung: Reichskanzler Franz von Papen ist in die russische Botschaft gekommen.
    »Und dabei hat er doch gerade noch wilde Attacken gegen den Kulturbolschewismus geritten.«
    Was wird morgen in den Zeitungen stehen? Die Vertreter aller Redaktionen sind jedenfalls anwesend: Mitarbeiter der ›Berliner Börsenzeitung‹, der ›DAZ‹ und der Hugenbergpresseebenso wie Journalisten des ›Berliner Tageblatts‹ und der ›Vossischen Zeitung‹, Friedrich Stampfer vom sozialdemokratischen ›Vorwärts‹ ist da und Hans Zehrer von der rechtsgerichteten ›Tat‹. Nur die Nationalsozialisten fehlen. Die hat man nicht eingeladen.

3
    »Wenn man überlegt, dass du dieses Blatt mal geleitet hast«, sagt Hans Otto zu seinem Freund Adam Kuckhoff.
    Adam Kuckhoff und Hans Otto sitzen in einer kleinen Gaststätte am Viktoria-Luise-Platz in Berlin. Sie sitzen einander gegenüber, an dem blankgescheuerten Holztisch, auf dem ein Senftöpfchen steht, ein Salzstreuer, ein Aschenbecher und zwei kleine Helle. Daneben liegt eine Ausgabe der › Tat‹ vom September 1932, die offenbar ein früherer Gast hier zurückgelassen hat.
    »Wenn man überlegt, dass John Sieg damals in diesem Blatt geschrieben hat«, sagt Hans Otto.
    »Nun ja«, sagt Adam Kuckhoff. »John ist bei der ›Roten Fahne‹ doch besser aufgehoben. Ich bin Diederichs nicht böse. Er hat es eben mit der Angst bekommen, also hat er mich hinausgeworfen. Und seit Hans Zehrer die Sache macht, ist die Auflage gestiegen, das muss man zugeben.«
    »Diese Salonnazis«, sagt Hans Otto. »Sie werden sich noch wundern, wenn erst die echten Nazis an der Macht sind.«
    Hans Otto ist Vorsitzender der Berliner Sektion des Arbeiter-Theater-Bundes Deutschland, Obmann der Gewerkschaftder Deutschen Bühnenangehörigen und aktives Mitglied der KPD. Adam Kuckhoff gehört keiner Partei an. Aber in den zwanziger Jahren hat er die Werke Georg Büchners in einer kommentierten Volksausgabe herausgegeben. So ist er zum Marxisten geworden: durch seine Liebe zu dem verfolgten Dichter-Revolutionär.
    Hérault-Séchelles, einige Damen am Spieltisch. Danton auf einem Schemel zu den Füßen von Julie.
    Hérault-Séchelles: Die Revolution muss aufhören und die Republik muss anfangen. In unsern Staatsgrundsätzen muss das Recht an die Stelle der Pflicht, das

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