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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Abend ist südlich lau, sternenklar.
    Sie sprechen jetzt nichts Schweres mehr. Sie gehen durch den Park, wie sie an jenem allerersten Tag auf Schloss Mondschütz miteinander gegangen sind: eng beieinander, ohne sich zu umfassen. Sie sprechen auch darüber nicht. Sie sprechen nicht mehr über Vergangenheit oder Zukunft, auch nicht über den heutigen Tag. Sie plaudern nur über das, was ihnen die leise vorüberschreitenden Momente präsentieren.
    »Sieh, der Mond zwischen den Zweigen.«
    »Ein Glühwürmchen. Und noch eins.«
    »Ich hoffe, du kriegst keine nassen Füße vom Tau.«
    Eine Weile sitzen sie auf dem Rand des Brunnens, der vor ihrem Hotel plätschert. Es ist ein schönes Hotel, klein und alt.
    »Ist der Stein auch nicht kalt?«
    »Wie melodisch das Wasser klingt.«
    Sie haben ein Doppelzimmer gebucht. Claus Stauffenberghätte anrufen und den Termin verschieben können. Er hat nicht angerufen.
    »Ich glaube, wir gehen nun allmählich nach oben. Ich will die Uniform anziehen, dann werde ich nicht von den Patrouillen behelligt.«
    Das Hotelzimmer ist bereits verdunkelt. Marion knipst das Licht an.
    »Tuschelchen. Mach du dich doch fertig für die Nacht.«
    Folgsam zieht sie das Kleid über den Kopf, dann das Hemd. Sie wäscht Hände und Gesicht, putzt die Zähne, zieht das Nachthemd über. Er hat ihr zugesehen. Er knöpft seine Uniformjacke zu, nimmt ihre Hände in die seinen, küsst ihre Finger.
    »Herzelein. Schlafe du gut.«
    Er lässt ihre Hände los. Er öffnet die Tür. In der Ferne schlägt die Uhr. Er sagt: »Jetzt muss ich wohl los.«
    Dann geht er die Treppe hinunter.
    Die Morgensonne scheint schon sehr warm. Es wird wohl wieder ein heißer Tag. Barbara und Hans von Haeften stehen vor dem Gutshaus von Grammertin. Hannes ist gestern hier herausgekommen, zum dreizehnten Geburtstag seines Ältesten. Während des Abendessens hat Hannes’ Bruder Werner angerufen, Stauffenbergs Adjutant.
    »Etwas Besonderes?«, hat Barbaras Vater gefragt.
    »Nein. Werner hat nur einen Termin bestätigt.«
    Nun muss Hans von Haeften also zum Bahnhof von Altstrehlitz radeln und dann den Zug erwischen, um nach Berlin zu fahren und dort nach Hitlers Tod das Auswärtige Amt zu übernehmen.
    »Also, dann alles Gute, Hannes.«
    »Ja. Ach, was soll man sagen. Vielleicht findet es ja wiedernicht statt. Vielleicht kommt man noch einmal darum herum. Ich sage dir, ein Fluch liegt auf der ganzen Unternehmung.«
    »Dann bleib doch einfach hier.«
    »Was soll das helfen? Meinst du, hier wäre ich sicherer? Es ist zu spät für eine Flucht.«
    Als er fort ist, geht Barbara zurück ins Haus. Sie setzt sich wieder an den Frühstückstisch. Die ganze Familie sitzt da. Das Haus ist überfüllt, es platzt aus allen Nähten. Barbara schenkt sich Malzkaffee ein. Sie ist ganz allein.
    Clarita hat Adam angerufen. Das tut sie selten. Ferngespräche sind teuer, und es ist schwierig, eine Verbindung nach Berlin zu bekommen. Aber manchmal lässt sich Claritas Angst nicht mehr anders lindern. Es ist die immerwährende Angst, Adam könnte ihr abhandenkommen, er könnte verlorengehen in den Gebirgen einsamer Erfahrungen, die der Mangel an geteiltem Alltag zwischen ihnen auftürmt. Später einmal, wenn sie beide alt sind und auf ihr Leben zurückblicken, wird er diese Jahre doch als die wichtigsten und erregendsten seines Lebens empfinden. Es werden genau diese Jahre gewesen sein, in denen er am dringendsten eine Frau an seiner Seite gebraucht hätte.
    Nach Moskau!
    Einst haben sie in Berlin zusammen Tschechows ›Drei Schwestern‹ gesehen. Wann war das? Vor dem Krieg. Vor einem halben Leben,
    Das Leben entschwindet und kehrt niemals wieder. Die Zeit entflieht so rasch, und es ist mir, als ob ich mich von dem wahren, wirklich schönen Leben immer mehr entferne. Nach Moskau! Nach Moskau! Nach Moskau!
    Aber das hat er ihr verboten. Clarita muss in Imshausen bleiben. Sie hat zwei kleine Töchter. Sie muss sich für ihre Kinder bewahren. Das sagt er. Immerhin hat er sich über ihrenAnruf gefreut. Er hatte nicht viel Zeit, er war ja im Amt. Aber seine Freude war innig und echt. Allenfalls war er ein wenig enttäuscht, dass sie seinen Brief noch nicht erhalten hatte: den langen Brief, den er ihr offenbar geschrieben hat.
    Aber nun hat sie jedenfalls etwas, worauf sie sich freuen kann. Der Brief wird ja sicher morgen ankommen. Und in neun Tagen kommt Adam selbst. Heute ist Donnerstag, der 20. Juli. Am Samstag der nächsten Woche ist es schon so weit. Dann

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