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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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beginnt Adams lang ersehnter Ferienaufenthalt. Es bleibt nur zu hoffen, dass Adams Bruder Werner diesmal ein wenig friedfertig ist.
    Es ist zwölf Uhr. Marion erträgt es nicht länger. Sie hat die Zeremonie auf dem Standesamt über sich ergehen lassen, sie hat die kirchliche Trauung durchgestanden. Aber sie kann unmöglich am Mittagessen im Hotel Elefant teilnehmen. Sie erstickt an der nächsten heiter-festlichen Bemerkung, die ihr die Regeln der Konversation abverlangen. Marion hat sich von den Pücklers verabschiedet. Sie fährt nun nach Berlin. Am liebsten flöge sie. Was mag bis jetzt nicht schon alles passiert sein.
    »Dann hätte man den Hund eben anleinen müssen!«
    Clarita ist außer sich. Sie hat eine Biskuitrolle gebacken. Clarita erwartet ihren Bruder, der auf Urlaub von der italienischen Front ist. Sie hat Eier, Butter und Zucker gehortet, um ihm einen Kuchen zu backen, dann hat sie den Kuchen zum Auskühlen hinaus ins Freie gestellt. Und nun hat ihn der Hund gefressen, der Köter der einquartierten Saarländer Flüchtlinge.
    »Wenn der Hund streunt, dann kann er eben nicht frei herumlaufen!«
    Es ist ein Uhr mittags. Claritas Bruder kommt in einer Stunde. Was soll Clarita jetzt tun? Es ist zu spät, um einenneuen Kuchen zu backen. Es ist zu spät, die Zutaten zu besorgen.
    »Was hat denn das Biest überhaupt im Schlossgarten zu suchen? Behalten Sie diesen Hund doch bei sich! Dieser Hund ist eine Gefährdung.«
    Sie sagt es noch einmal.
    »Eine Gefährdung ist dieser Hund!«
    Dann bricht sie in Tränen aus. Sie kann sich nicht länger beherrschen. Clarita hat sich so auf alles gefreut. Sie hat sich so viel Mühe gegeben. Sie hat so viel Freude und Liebe und Sorge investiert. Und nun ist alles zunichtegemacht.
    Die Nachmittagssonne übergießt Schloss Trebbow, See und Park mit Hitze und Licht. Die Erwachsenen sitzen auf der Terrasse. Angela von der Schulenburg ist von Tressow herübergekommen, um Charlotte zum fünfunddreißigsten Geburtstag zu gratulieren. Johann Albrecht hat sie leider nicht begleiten können: Der Älteste der wilden Schulenburg-Brüder ist an Krebs erkrankt, wie vor ihm sein Vater und sein Bruder Heini. Angela hat aber ihre sechs Kinder mitgebracht, die Vettern und Basen von Charlottes Kindern. Die Kinder haben alle etwas vorbereitet, zur Feier des Tages.
    Von Osten will das holde Licht
    Nun glänzend uns vereinen,
    Und schönre Stunden fänd’ es nicht,
    Als diesem Tag zu scheinen.
    Schuschu hat ein Goethe-Gedicht vorgetragen. Die kleinen Mädchen haben einen Tanz vorgeführt. Zur Belohnung haben sie ein Pferdchen bekommen. Ihre aufgeregten Stimmen, ihre glücklichen Rufe klingen aus dem Park herüber. Charlotte lässt sich in das Teegesellschaftsgeplapper, in die Hitze und den Sommer sinken wie in eine betäubende Flüssigkeit. DasAttentat wird sicher nicht heute stattfinden. Wer weiß, ob es überhaupt stattfindet.
    »Es ist ein Telegramm gekommen.«
    Charlotte fährt hoch. Einen Moment lang umwirbelt sie die Welt wie ein feuriges Rad. Aber das Telegramm ist gar nicht für sie. Es ist für ihre Schwägerin Tisa. Tisa nimmt es in Empfang. Sie reißt es auf. Sie liest. Charlotte sitzt still. Sie alle sitzen still. Tisa liest. Sie hebt den Kopf nicht. Sie liest und liest. Wie ist das möglich? Was hat man ihr denn gekabelt, ›Krieg und Frieden‹ in drei Bänden?
    »Tisa?«
    Tisa sieht auf. Sie legt das Telegramm auf den Tisch. Sie sagt: »Wolfi ist gefallen. Mein Bruder Wolfi ist tot.«
    Die Wiemanns murmeln etwas Erschrockenes. Angela Schulenburg greift nach dem Telegramm. Dann reicht sie es an Charlotte weiter. Charlotte liest. Wolf-Werner von der Schulenburg, Oberstleutnant und Kommandeur des Fallschirmjäger-Regiments 13, ist im Alter von vierundvierzig Jahren bei Saint-James in der Normandie gefallen.
    Charlotte legt das Telegramm weg. Sie hört das Rauschen düsterer Schwingen. Am Horizont scheint sich ein riesiger Vogel erhoben zu haben. Ganz Trebbow duckt sich unter die Schatten seiner Flügel.
    Bremsen kreischen. Der Zug hält auf offener Strecke. Das Dröhnen der Flieger erfüllt die Luft. Es sind Dutzende, Hunderte vielleicht. Amerikaner. Sie fliegen nach Norden, vollkommen ungehindert. Ihre Flügel blitzen in der Mittagssonne. Die Zugpassagiere sehen aus den Fenstern, beschatten die Augen mit den Händen, die Bomber fliegen offenbar Bitterfeld an, die chemische und elektrochemische Industrie von Bitterfeld. Die Fahrgäste bleiben, wo sie sind. Keiner schimpft,keiner

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