Wer wir sind
verbrennen, aber sie kann die Finger nicht lösen.
»Meuchelmörder haben versucht, unseren Führer umzubringen. Aber die Vorsehung hat es nicht zugelassen.«
»Aber Alice.«
Tisa ist aufgestanden.
»Was redest du da. Nun mal der Reihe nach.«
»Aber das ist ja alles, was man weiß. Sie haben es im Radio gesagt. Es ist ein Anschlag auf das Leben des Führers verübt worden, aber es ist ihm nichts passiert.«
»Na also«, sagt Tisa, grau im Gesicht. »Dann rege dich in Gottes Namen doch nicht so auf. Da sieht man es, der Führer wird behütet. Der Führer steht unter dem Schutz der Vorsehung.«
Sie geht zum Radioapparat und schaltet an.
Wagner. Der ›Holländer‹.
»Jemand hat einen Anschlag auf den Führer verübt.«
Beim ersten Satz weiß Clarita, dass sie es gewusst hat. Clarita steht in der Auffahrt von Schloss Imshausen, die zweijährige Verena an der Hand, die kleine Clarita im Kinderwagen, den Bruder an ihrer Seite. Sie haben einen Abendspaziergang gemacht. Ein Hofarbeiter ist ihnen entgegengeeilt.
»Ein Anschlag auf das Leben des Führers.«
Sie hat es gewusst. Und der Anschlag ist fehlgegangen. Auch das weiß sie, sie ist ganz sicher.
»Der Führer ist aber kaum verletzt.«
Na also. Und Adam kann nichts geschehen. Claritas erste Ahnung hat sich bestätigt, ebenso ihre zweite, nun wird sich auch diese dritte bestätigen. Adam ist Zivilist, kein Soldat. Er hat sich noch gar nicht exponiert. Adam wird davonkommen, da ist Clarita sicher.
»Es soll heute Mittag passiert sein, gegen eins.«
Clarita muss sich beherrschen, sonst lacht sie los. Um eins hat sie die leere Kuchenplatte entdeckt. Heute um eins hat Rex Claritas Biskuitrolle gefressen, und Clarita hat sich sehr aufgeregt.
»Du weißt es noch nicht?«
Romai ist in Cottbus. Sie hat die Reise unterbrochen, um bei Freunden zu übernachten. Sie schafft es heute nicht mehr bis Kreisau, sie ist wie betäubt vor Erschöpfung.
»Du weißt noch gar nicht, was passiert ist? Auf Hitler ist ein Attentat verübt worden.«
Tatsächlich? Ach.
»Um halb sieben abends haben sie es im Radio gesagt.«
Und was geht das Romai an?
Dann flutet die Wirklichkeit wieder zurück, so wie das Blut in einen tauben Körperteil strömt. Romai schreit fast.
»Ist es geglückt?«
»Nein. Er lebt. Er hat wieder überlebt. Er wird um Mitternacht im Radio sprechen.«
Eta von Tresckow sitzt mit ihrem Schwager Jürgen und seiner Frau Hedwig am See. Es wird bereits Abend, aber sie können sich nicht lösen. Die Ruhe ist so angenehm, nach dem langen heißen Tag. Die Wassernähe ist so beruhigend.
»Wollen wir nicht ins Haus gehen?«
»Ach, wozu. Lasst uns noch etwas hier unten bleiben. Hier ist es so schön.«
Das Schilf rauscht im Abendwind. Der Schwan zieht seine Kreise auf dem Wasser, das sich allmählich verdunkelt.
»Wollen wir nicht die Nachrichten hören?«
»Ach dies eine Mal nicht. Was soll schon Neues geschehen sein.«
Sie liegen in Ostrów bei Białystok. Generalmajor Henning von Tresckow hat den ganzen Tag telefoniert. Er versucht zu retten, was zu retten ist, während sich Katastrophe auf Katastrophe türmt. Hitler verlangt von jeder Einheit, dass sie steht, bis sie aufgerieben ist. Major Krause hält gerade Vortrag über Nachschubprobleme, als der Kurier-Unteroffizier des Stabes mit einer Meldung hereinkommt.
»Ein Oberst Graf Stauffenberg hat ein Attentat auf denFührer verübt. Ersten Nachrichten zufolge ist es aber gescheitert.«
Der General sah schon vorher blass aus. Er hatte sicher schon vorher diese merkwürdigen Augen: Das sagt sich der Major. Der General schweigt. Dann gibt er eine selten knappe Antwort.
»Den genauen Wortlaut der Meldungen bitte.«
Marion hat es nach Berlin geschafft. Sie ist am Anhalter Bahnhof angekommen. Die Hauptstadt scheint ruhig zu sein. Vom Zugfenster aus waren nirgendwo auf den Straßen Kämpfe zu sehen, nirgendwo jubelten und tosten die Massen. Marion geht inmitten der Menge, die den Bahnhofsausgängen zustrebt, den Ruinen, den Kellern. Und dort ist Mariechen, wie ein kleines Licht. Marion ruft laut. Sie hebt die Hand, sie winkt. Sie ist gesehen worden: Mariechen eilt auf Marion zu.
»Mariechen. Ach Mariechen. Wie haben Sie denn herausgefunden, wo und wann ich ankommen werde?«
»Ich habe gefragt. Ich habe hier gewartet. Geben Sie mir doch Ihre Tasche.«
»Nein, Mariechen, lassen Sie nur.«
Sie gehen den Bahnsteig entlang.
»Frau Gräfin. Der Graf lässt Ihnen sagen, Sie sollen nicht nach Hause
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