Wer zuerst kommt, küsst zuerst
erwiderte Manny. „So einer ist er nicht. Sie untersuchen ihn gerade.“ Er nannte den Namen des Krankenhauses. „Sie sagten, es würde ein paar Stunden dauern, ehe sie Genaueres wüssten. Aber wenigstens wird er durchkommen.“
Cruz hielt das Telefon fest umklammert. „Ich bin gleich da.“
Manny sagte ihm, auf welcher Etage er sie fände, dann legten sie auf.
Dreißig Minuten später betrat Cruz das Krankenzimmer. Manny stand neben Jorge, der aussah wie durch den Fleischwolf gedreht. Seine Augen waren geschwollen und blutunterlaufen, und seine sonst olivfarbene Haut hatte einen blassgrünen Stich.
„Ich habe nichts gemacht“, verteidigte er sich schwach. „Boss, Sie müssen mir glauben. Ich nehme keine Drogen. Nie mals. Ich finde das dumm, und selbst wenn ich es gut fände – meine Mutter würde mich umbringen.“ Während er sprach, berührte Jorge das Kreuz, das er um den Hals trug.
„Ich weiß. Es ist alles gut. Werd einfach nur wieder gesund.“
„Das werde ich.“ Jorge schloss die Augen.
Manny gab Cruz ein Zeichen, und sie gingen hinaus auf den Flur. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, verhärteten sich seine Gesichtszüge.“
„Dieser Scheiß gefällt mir nicht.“ Er klang verärgert. „Jorge hat mir gesagt, dass er mit Freunden was trinken war. Am Nachbartisch stand eine Horde Typen, die anfingen, sie über ihren Beruf auszufragen. Für wen sie fuhren und so’n Zeug. Das waren nicht bloß Fans. Jorge meinte, es kam ihm so vor, als wollten die genau wissen, wer wer war.“
Cruz hörte aufmerksam zu. Das ungute Gefühl, das er in der Magengegend spürte, behagte ihm ganz und gar nicht. „Und?“
„Die anderen Jungs haben ein paar Runden geschmissen. Die Stimmung war gut. Jorge trank nichts, aber einer der Typen war richtig traurig, weil er ihm keinen Drink spendieren durfte. Also nahm Jorge ein Bier.“
„Was hatte er vorher getrunken?“
„Mineralwasser.“
Etwas ohne Geschmack. Ein sicheres Getränk.
Manny bestätigte seinen Gedanken. „Der Arzt meint, man hätte ihm eine Art K.O.-Tropfen verabreicht, aber wer auch immer das Zeug da reingemischt hat, hat ihm zu viel gegeben. Entweder absichtlich oder aus Versehen. Sie wollen noch weitere Untersuchungen durchführen, um sich zu vergewissern, ob mit ihm auch wirklich alles in Ordnung ist.“
„Wird das Krankenhaus die Sache der Polizei melden?“
„Das haben sie vor. Aber weil du es bist, wollen sie zuerst mit dir reden.“
Weil er es war? Als wenn er jemand wäre … Unter anderen Umständen hätte er darüber gelacht. „Ich rede mit demArzt“, versicherte Cruz seinem Partner. „Ich denke, wir sollten die Polizei einschalten. Niemand vergreift sich an meinen Fahrern.“
„Bin ganz deiner Meinung. Aber ich verstehe das nicht.“ Manny schüttelte den Kopf. „Wer sollte denn so was tun? Es ist dumm und gefährlich. Wenn die Spur zu einem anderen Team führt, werden sie disqualifiziert, und zwar nicht nur für eine Saison. Jorge ist zwar gut, aber auch nicht so gut. Das ist es doch nicht wert.“
Cruz stimmte ihm zu. Diese Sache unterschied sich von den üblichen Sabotageakten. Aber wer hätte Grund, ihm das anzutun? Er hatte sich auf seinem Weg nach oben ein paar Feinde gemacht, allerdings nicht in letzter Zeit. Außerdem war der Vorfall eher ärgerlich und frustrierend als schädlich für ihn.
„Ein Zufallsangriff?“, warf er in den Raum. „Irgendwelche Idioten, die sich mit so was einen Kick holen?“
„Vielleicht. Keine Ahnung. Fühlt sich für mich nicht so an.“
„Für mich auch nicht. Könnte es jemand sein, den Jorge kennt?“, überlegte Cruz weiter. „Hat er sich an die Frau von irgendeinem Typen rangemacht?“
„Nein. Er ist ein guter Junge. Gutes Verhältnis zu seiner Familie. Seine Eltern sind gläubige Katholiken, und Jorge geht zweimal pro Woche in die Kirche. Er würde sich nicht mit einer Frau treffen, wenn seine Mutter dagegen wäre. Er gehört nicht zu den Kerlen, die mit verheirateten Frauen rum-machen.“
Wenn es also kein zufälliger Angriff war, und es nicht um Jorge ging, was blieb dann übrig? Wer blieb übrig?
Cruz ging die Möglichkeiten durch. Die eine, die er am dringlichsten verwerfen wollte, war diejenige, die immer wieder hochkam. Garth Duncan.
Zuerst Lexi mit dem Darlehen, dann Jed und die Pferde, gefolgt von dem Insiderhandel. Dann Skye und der Verdacht auf Geldwäsche. War das Garth’ Weg, ihn in der Familie willkommen zu heißen? Und wenn es so war –
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