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zehn Minuten durch Straßen, welche vorwiegend von grauen Nachkriegsbauten geprägt sind. Ich komme mir dabei so abgerissen vor, wie die Trümmerfrauen, die geholfen haben die nach dem Krieg völlig zerstörte Stadt wieder aufzubauen. Wäre ich nicht gegen Gewalt im Allgemeinen, müsste man so vernünftig sein, diese Stadt nochmals in Schutt und Asche zu legen, um sie auf dem Reißbrett komplett neu zu planen. Es ist alles so hässlich hier!
IKEA hat vollkommen recht: Es gibt Orte, an denen man nur wohnt, aber nicht lebt. Mein viel gescholtenes Zuhause befindet sich in der Nähe eines historischen Schlachthofs, der ironischerweise einziger Zugang zu einem alten sowie denkmalgeschützten Friedhof ist. Der Name der Straße klingt somit nach blankem Hohn: Paradiesstraße.
In meiner Wohnung angekommen reiße ich mir zunächst meine vom Laufen verschwitzten Klamotten vom Leib. Ich setze mich, nur in meine KC-Boxershorts gehüllt und mit meinem – von Herrn Beaujean empfohlenen – Feierabendbierchen, vor das Fernsehgerät.
Dabei vergesse ich leider, dass meine Vorhänge noch gar nicht zugezogen sind. Dem türkischen Pärchen vom Haus gegenüber bietet sich nun eine kostenlose Live-Version irgendeines Reality-TV-Schunds, das im untersten sozialen Milieu spielt.
Mustafa – von den Nachbarn liebevoll Musti genannt – deutet seiner Frau Aische mit dem Zeigefinger auf mich. Hat dieser neugierige Typ denn nicht gelernt, dass es unhöflich ist, mit dem nackten Finger auf andere Leute zu zeigen?
Ähnliches passiert mir ständig. Ich glaube, seitdem ich hier wohne, haben die zwei ihren Fernseher abgeschafft. Als Gruß zeige ich den beiden den international verständlichen Mittelfinger und schließe die Vorhänge unter einem Schreianfall von Mustafa: »Ich komm’ gleich rüber zu dir!«
Schade. Das einigermaßen gute Gefühl, das mir mein Chef zum Schluss des Arbeitstages vermittelt hat, ist derweil komplett verschwunden. Aber zurück zu meinem ereignisreichen Singledasein. Während ich mir eine alte Guido-Knopp-Doku namens Hitlers Putzfrauen im TV angucke, erhitze ich den Inhalt einer Dose Ravioli. Ich entscheide mich für die exklusivste Variante der beliebten Fertigkost mit Fleisch in der Soße.
Die 810 Gramm Nettogewicht heißer Pasta lasse ich mir direkt aus dem Kochtopf schmecken. Auch wenn mir ein Amuse-Gueule und ein guter Chianti zu dem italienischen Nudelgericht guttun würden – Kultur muss sein!
Früher, da gab es in meinem fünfunddreißig Quadratmeter großen Domizil auch köstliche, frisch gekochte Sachen. Aber nachdem mich meine Freundin Sabine vor schätzungsweise 1.351 Tagen verlassen hat, habe ich all ihre Kochbücher weggeschmissen, um mich nicht mehr an sie erinnern zu müssen. Zwei Jahre Beziehung landeten im Müll.
Zugegeben: Bis heute bereue ich es, den Haute-Cuisine-Klassiker entsorgt zu haben, der schlicht mit Hackfleisch tituliert war. Sicherlich hätte ich mir heute ansonsten selbst Ravioli herstellen können.
Überhaupt habe ich nach Sabines unrühmlichen Abgang mit ihrem Volleyballtrainer viele Dinge aus der ehemals gemeinsamen Wohnung entfernt. Beispielsweise unsere Fotos in der Diele, die mit ihrem Namen beschriftete Kaffeetasse, unseren Goldfisch Holofernes sowie viele andere Sachen.
Holofernes hat die Trennung übrigens nicht verkraftet – eines morgens fand ich ihn reglos in seinem kleinen Aquarium. Wahrscheinlich starb er an gebrochenem Herzen. Anstatt einer feierlichen Seebestattung konnte ich dem kleinen, nassen Freund nur einen vom Handy abgespielten Salutschuss sowie eine letzte Reise auf dem Dürener Styx bieten: der Kanalisation.
Als gebürtiger Öcher Jong (Aachener Junge), der ich bin, habe ich mich in meiner Wahlheimat kein einziges Mal wirklich zuhause gefühlt. Trotzdem war ich hier nun schon seit bald fünf Jahren gestrandet. Wäre ich wegen dieser Frau doch niemals nach Düren gezogen!
Meine Ex ist der lebende Beweis dafür, dass bei Leuten – die man im Onlineportal Italienisch für Anfänger kennenlernt – das Wort Treue nicht Teil des Wortschatzes ist. Der besagte virtuelle Treffpunkt hat mir auf der anderen Seite gezeigt, dass man Sprachen keinesfalls über das World Wide Web lernen kann, wenn der Forum-Administrator in Wirklichkeit ein legasthenisch veranlagter Steppke ist, der Italienisch nur aus Originalfassungen der Filme mit Bud Spencer und Terence Hill kennt. Seine seltsame Rechtschreibung hätte mir sogleich auffallen müssen. Sabine und mir
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