Werbevoodoo
Fürstenfeldbruck zu ziehen. Denn umgekehrt war Heike nicht dazu zu bewegen, nach Wien zu ziehen. › Das ist ja noch schlimmer als München! ‹ , hatte sie nach jedem Besuch in der Schnitzelmetropole geklagt, wobei Wondrak nie verstanden hatte, was an München so schlimm sein sollte. Heute konnte er nicht mehr verstehen, was an Heike so toll gewesen sein sollte. Aber das Schicksal nahm damals eben seinen Lauf, und Mitte der 90er-Jahre wurde Hochzeit gefeiert, ganz groß in der Klosterkirche Fürstenfeld. Drei Jahre später war Schluss. Doch Wondrak blieb. Er hatte – als Hochzeitsgeschenk, gewissermaßen – durch einige Winkelzüge geschickter Verwaltungsadvokaten einen schönen Posten in der Kripo ergattert, und der Verwaltungsapparat war hier nur halb so aufgebläht wie in der K.-u.-k.-
Beamtenhochburg, was das Leben eines Kriminalers enorm erleichterte. Außerdem gefiel es ihm, mitten in Europa auf dem Land zu leben, statt mitten im Balkan in der Stadt. Und so wurde aus dem Österreicher mit halb norwegischen Wurzeln ein Brucker. Wondrak gab sich keine Mühe, den alpenländischen Singsang abzulegen, denn er hatte entdeckt, dass er ihm gewisse Vorteile verschaffte. Manche Menschen unterschätzten ihn und waren ihm gegenüber viel unvorsichtiger als bei nördlicher klingenden Kommissaren. So erfuhr er schneller mehr als andere Kommissare, und war bald der entscheidende Faktor der glorreichen bayerischen Aufklärungsstatistik.
Für seine Exkollegen in Wien war er eine Kreuzung aus gewissenlosem Vaterlandsverräter und bemitleidenswertem Idiot, aber in Fürstenfeldbruck und beim Landeskriminalamt in München wussten sie, was sie an ihrem Ostimport hatten.
»Bei deiner Erfolgsquote«, fragte Marianne, »wieso bist du nicht längst Polizeipräsident?«
»Das hab’ ich mich auch gefragt. Aber was macht man als Präsident? Repräsentieren und organisieren. Und weißt du, was ich nicht kann?«
»Organisieren und repräsentieren?«, fragte Marianne.
»In genau dieser Reihenfolge«, bestätigte Wondrak. »Und was kannst du, und was kannst du nicht, und was willst du werden, und was nicht, und in welcher Reihenfolge?«, fragte er, während er am Prosecco nippte, ohne sie aus den Augen zu lassen.
»Ich wollte Mutter werden und nie grüne Witwe. Ich wollte einen Mann haben und nie von ihm betrogen werden. Ich wollte jede Woche mindestens eine Party feiern und nie in Chatrooms herumhängen müssen. Ich wollte einen kreativen Job und kein Hausfrauenleben. Ich wollte dreimal die Woche Sex und nicht dreimal im Jahr.«
Wondrak hatte noch nie so viel Wahres in so kurzer Zeit gehört. Es war eine blöde Idee, ein Gespräch mit einer anbetungswürdigen schönen Frau wie ein Verhör zu führen und alles aus ihr herauszukitzeln. Manchmal war es gut, die Wahrheit zu erfahren. Aber manchmal möchte man auch belogen werden. Wondrak beschloss, Marianne auf andere Gedanken zu bringen.
»Ich hab’ gerade einen Fall, der mich ganz schön aufwühlt. Eine Telefonsex-Hostess ist entführt worden. Von einem ihrer Kunden. Ich hab’ mir die Bänder angehört. Da sind abartige Vergewaltigungsfantasien, Sodomie und grausame Quälereien dabei. Sachen, die man am besten gleich wieder vergisst. Aber es gibt da auch zwei Szenen, die so aufregend sind, dass sie sich in meinem Kopf festgesetzt haben.«
»Erzählst du sie mir?«
»Willst du?«
»Ja, bitte!«
»Also, stell’ dir vor, du bist die Assistentin eines Bildhauers. Seine Muse. Du bist nackt. Im Atelier steht ein großer Tonblock, so weicher Töpferton. Der Block ist so hoch wie ein Tisch. Auf den setzt er dich, dein Po sinkt in dem Ton ein.«
»Und dann wird der Block rhythmisch in Form gebracht? Du hast recht, das hat was.«
Für einen Moment hing jeder seinen Gedanken nach, Wondrak nahm einen Schluck und plötzlich sprang Marianne auf.
»Ich hab’ unser Abendessen ganz vergessen. Hilfst du mir schnell, und dann erzählst du mir die zweite Geschichte«, bestimmte sie.
Während sie die Renkensoße warm machte und die Nudeln kochte, dachte sie laut nach. »Ich mache ja ab und zu in einem Atelier so Töpferkurse mit. Die ganzen Vasen und Schüsseln können mir gestohlen bleiben, alles Scherben. Aber der kühle, glatte, glitschige Ton, das ist ein tolles Material. Ich liebe es, ihn mit den Händen zu formen. Wenn ich mir vorstelle, ihn mit den Pobacken zu bearbeiten, diesen kühlen, glitschigen Matsch … ich muss sagen, Thomas, keine schlechte Fantasie. Die wird mich auch
Weitere Kostenlose Bücher