Werden sie denn nie erwachsen?
hat sie zwar nicht verstanden, aber das hat ihn nicht gestört. Er habe auch noch nie einen so hervorragenden Tee getrunken, hat er gesagt, da merke man doch gleich, daß das echt englischer sei.« Sascha grinste. »Da kannste mal sehen, wie sich die Leute beeinflussen lassen. Das war nämlich Tütentee von Aldi. Bloß das Service war englisch.«
»Ist der euch etwa auf die Bude gerückt?«
»Na klar. Als echter Schwabe wollte er sich vergewissern, daß wir nicht zwischen Kellerregalen und Obstkisten hausen. Daß die Möbel alle Sven gehören, habe ich natürlich nicht gesagt.«
Als Anfang März das erste Semester zu Ende war, hatten Vicky und Sascha ihr neues Heim bezogen, Sven war wieder in sein Apartment zurückgekehrt, nur die Zwillinge fuhren weiter Autobahn.
»Vielleicht klappt es ja jetzt zum Frühjahr«, tröstete ich Katja, die mal wieder einen Tiefpunkt erreicht hatte und heulend in ihrem Zimmer saß. »Nach den Staatsexamen werden doch bestimmt haufenweise Zimmer oder sogar Wohnungen frei.«
»Ach, die sind doch längst schon wieder unter der Hand vergeben. Wir haben ja kaum Kontakt zu anderen Studenten, höchstens mal in der Mensa, aber bei Hackbraten mit gemischtem Salat kannste keine Beziehungen aufbauen. Und ohne Beziehungen läuft in Heidelberg gar nichts«, schniefte sie. »Ist ja lieb, daß du mich trösten willst, aber Trost wohnt im Himmel. Und wir sind leider bloß auf der Erde.«
10
»Ich hab’ mal den SPERRMÜLL mitgebracht, vielleicht steht da was drin.« Nicki legte eine Zeitung auf den Tisch, von der ich noch nie etwas gehört hatte.
»Komischer Name!«
»Ist ja auch ’ne komische Zeitung. Nur Anzeigen.«
Und was für welche! Da suchte jemand einen Originalauspuff für ein Käfermodell aus dem Jahre 1972, ein anderer offerierte zwei gebrauchte Karnickelställe, eine noch bis zum Jahresende gültige Plakette für die Schweizer Autobahnen wurde angeboten und gleich daneben zwei Eintrittskarten für Cats.
Einen Wohnungsmarkt gab es allerdings nicht, die jeweiligen Objekte fanden sich unter der Rubrik Vermietungen und umfaßten die ganze Palette von »Vier-Zimmer-Luxuswohnung, Einbauküche und Gardinen müssen übernommen werden« bis zu »Schlafstelle für Wochenendheimfahrer«. Einige normal klingende Angebote waren auch darunter. Leider alle mit Chiffre-Angaben.
»Kein Mensch inseriert mehr mit seiner Telefonnummer«, erläuterte Nicki, »weil der Apparat von morgens um sechs bis Mitternacht bimmeln würde.«
Einen ganzen Tag lang brüteten die Zwillinge über einem Standardbrief (nie ist der Mensch so vollkommen wie in seinem Bewerbungsschreiben!), dann hatten sie endlich den vermeintlich richtigen Text. Danach waren sie zwei strebsame und ruhige Studentinnen (anscheinend hatten sie noch nie etwas von Fernseher oder Stereoanlage gehört), Nichtraucher (was ausnahmsweise stimmte), ohne Anhang (zumindest ohne festen), tagsüber selten und am Wochenende nie zu Hause. Genaugenommen bewarben sich da zwei Mädchen um eine Wohnung, die sie eigentlich gar nicht brauchten, weil sie ohnehin nicht da waren.
Und dann warteten wir mal wieder auf Antwort, doch an den künftigen Lehrerinnen schien kein Vermieter interessiert zu sein. Bis auf einen. Der rief abends gegen sechs Uhr an, als Nicki Telefonwache schob.
»Wie bitte? Ja, warum denn? Weiß ich nicht so genau, ich gebe Ihnen mal meine Mutter.« Sie hielt den Hörer zu. »Du, ich glaube, das ist ein Spinner. Oder ein Obszöner. Der will wissen, wie groß wir sind. Kannst du mal mit ihm reden?«
»Und ob!« Die männliche Stimme am anderen Ende klang recht sympathisch. »Wundern Sie sich bitte nicht über meine Frage, aber jeder, der über einsachtzig ist, kommt nicht in Betracht.«
»Weshalb nicht? Haben Sie etwas gegen große Menschen?« Wahrscheinlich war das ein zu kurz Gekommener, der es haßte, zu seinen Mietern aufsehen zu müssen.
»Nein, gar nicht«, antwortete er, »ich bin ja selber nicht gerade klein. Aber die Wohnung, um die es sich handelt, hat nur eine lichte Höhe von zwei Metern. Und schräge Wände. Entsprechend niedrig sind die Türen. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?«
O ja. Leute mit Gardemaß würden nach kurzer Zeit an Gehirnerweichung leiden oder infolge ständigen Gebücktgehens Bandscheibenprobleme bekommen.
»Wäre einsvierundsiebzig noch zulässig?«
»Das ginge gerade noch«, bestätigte mein Gesprächspartner »vorausgesetzt, die Bewohner würden auf Hängelampen verzichten.« Das war
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