Werden sie denn nie erwachsen?
Glatteis vor.«
»Da gibt es bestimmt noch einen anderen Zugang«, vermutete ich. Den gab es tatsächlich. Er führte um den Berg herum, war schätzungsweise einen Kilometer lang und nur zu Fuß begehbar. Kein Wunder, daß dieses hoch oben thronende Häuschen keine Nachbarn hatte.
Das Semester hatte längst begonnen, und noch immer fuhren die Mädchen jeden Tag die siebzig Kilometer nach Heidelberg. Und wieder zurück. An manchen Tagen hatten sie nur eine Vorlesung, an anderen wieder saßen sie acht Stunden im Hörsaal. Oft gab es lange Pausen zwischen zwei Seminaren, dann hockten sie in irgendeinem Café oder bummelten durch die Fußgängerzone, was auf die Dauer etwas kostspielig wurde. Nicht wegen der zwei Tassen Cappuccino, sondern wegen der Schaufensterauslagen.
»Das ganze Studentenleben schwappt an uns vorbei«, beschwerte sich Katja. »Heute ist Medizinerball, und wir konnten nicht hin. Entweder hätten wir mitten in der Nacht Auto fahren müssen, dürften also nichts trinken, oder wir müßten im Schlafsack in der Mensa pennen. Dabei herrscht bei den Medizinern akuter Frauenmangel. Im Gegensatz zu uns, da kloppen sich zweihundertdreißig weibliche Erstsemester um siebenundzwanzig Männer.
Und die kannste bis auf zwei Ausnahmen alle in der Pfeife rauchen.«
Jeden Mittwoch und jeden Samstag stürzten wir uns gemeinsam auf die Wohnungsanzeigen – ich hatte sämtliche im Kreis Heidelberg erscheinenden Zeitungen abonniert –, telefonierten eine Gebühreneinheit nach der anderen herunter, schrieben individuell abgefaßte Bewerbungen und bekamen entweder gar keine oder negative Antworten. Zum erstenmal versuchte ich sogar, mit meinem »Künstlernamen« zu hausieren, aber das brachte auch nichts. Die meisten hatten noch nie etwas von Evelyn Sanders gehört (solche Vermieter waren eben nicht belesen genug, wären also ohnehin nicht in Betracht gekommen, man weiß ja, was man sich schuldig ist!!!), und die zwei anderen (Frauen, was denn sonst?) hatten zumindest schon mal eines meiner Bücher gelesen und hätten auch »liebend gern« die entzückenden Zwillinge aufgenommen, nur hatten sie leider Luxuswohnungen der oberen Preisklasse zu bieten. »Es dürfte Ihnen doch nicht schwerfallen, die Miete aufzubringen. Bei Ihrem Einkommen …«
Haha! Die eine kam aus der Fleischbranche, die andere war Gattin eines Installateurs. Mit Verlegern hatten beide noch nie etwas zu tun gehabt. Deshalb!
Schließlich versuchten wir es mit Angeboten, in denen die offerierte Wohnung mit zusätzlichen Bedingungen verknüpft war. Die »leichte Gartenarbeit« entpuppte sich als Pflege eines halben Hektar großen Erdbeerfeldes, und die zweimal wöchentlich vorzunehmende Reinigung des Treppenhauses mit vierzehn Wohneinheiten schloß auch winterliches Schneeschippen ein. Da es sich um ein Eckhaus mit Hinterhof handelte, wäre das ein tagesfüllendes Programm gewesen. Auch die »stundenweise Betreuung einer älteren Dame« war nicht das, was sich die Zwillinge vorgestellt hatten.
»Mal einkaufen gehen oder Geschirr spülen werden wir schon hinkriegen«, meinte Katja zuversichtlich.
»Kamillentee kann ich auch kochen. Und Nicki kann ihr immer die Bildzeitung vorlesen.« Entsprechend optimistisch waren sie zwecks Besichtigung von Wohnung und Dame losgezogen. Mit langen Gesichtern kamen sie zurück.
»Die Wohnung hätten wir sofort genommen, aber die kriegt man nur mit Anhang«, erzählte Nicki. »Frag bloß nicht, mit was für einem.«
»Von wegen ältere Dame«, fuhr Katja fort, »die hat uns nämlich die Tür aufgemacht, und da habe ich mich schon gewundert, weshalb sie betreut werden sollte. Schick angezogen und noch ganz flott auf den Beinen.«
»Wie alt?«
Fragend sah sie ihre Schwester an. »Was meinst du?«
»Irgendwo zwischen fünfundfünfzig und sechzig, würde ich sagen.«
»Danke!!!«
Erschrocken wandte sich Katja zu mir. »Ich glaube, da hat sich Nicki verschätzt. Die war bestimmt schon dicke über sechzig.«
»Jedenfalls zeigte sie uns erst die Wohnung, damit wir auf den Geschmack kommen«, nahm Nicki den Faden wieder auf, »und dann folgte das Aber.«
»Die zu betreuende ältere Dame ist mindestens neunzig, bettlägerig und hat einen an der Waffel. Als sie uns sah, fing sie an zu kreischen, wir wollten sie bestehlen und anschließend vergiften, oder umgekehrt, weiß ich nicht mehr, jedenfalls ist sie total gaga. Unterm Bett stand so ’ne Schüssel, wie man sie in Krankenhäusern kriegt, wenn man nicht aufstehen
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