Werden sie denn nie erwachsen?
Herr Doktor, ließ sich die Leine geben, machte sie fest und spazierte los. Und Otto trabte bereitwillig neben ihm her, dreimal um den Tisch herum, dann durchs Wartezimmer bis hinaus auf die Straße.
»Könnte es sein, daß ihm die männliche Autorität gefehlt hat?« Lachend drückte mir der Arzt die Leine in die Hand und schloß die Tür. Otto drehte sich um, sah niemanden mehr und legte sich prompt wieder auf den Bauch. Es nützte ihm nichts. Erst schrie ich ihn an, was er von mir nicht gewohnt war, dann zog ich ihn ohne Rücksicht auf die vielen Kieselsteinchen hinter mir her. Das kannte er auch noch nicht. Er jaulte, fiepte, stemmte alle vier Pfoten in den Boden, doch schließlich gab er auf und folgte mir ergeben. Ich hatte meinen ersten Sieg davongetragen!
Zu Hause kämpften wir allerdings auch weiterhin um die Vormachtstellung. Otto sollte nicht aufs Sofa, Otto wollte aber. Also schlossen wir einen Kompromiß. Wenn die extra für ihn gekaufte Decke dort lag, durfte er. Die Decke lag ständig da. Otto auch. Neben der Decke.
»Das Gute an dunklen Hosen ist, daß man damit so schön die Hundehaare von den Polstermöbeln wegkriegt«, sagte Rolf und trug zu Hause nur noch helle.
»Du solltest den Hund an sein Körbchen gewöhnen«, empfahl Stefanie. »Er muß wissen, daß das sein ureigener Platz ist.«
Das begriff Otto sehr schnell. Der Korb wurde seine Schatzkammer, in der er alles deponierte, was ihm wertvoll erschien: Strumpfhosen, drei Wochen alte, nach mehrmaligem Umlagern im Garten ausgebuddelte Knochen, die Fernbedienung vom Videorecorder, Katjas pelzgefütterten Hausschuh, abgekaute Gardinenschnüre, Ansichtskarten, eine leere Ölsardinenbüchse und gelegentlich auch mal Reste aus seinem Freßnapf, die er wohl als Mitternachtssnack vorgesehen hatte. Nur selber ging er nie hinein. Vielmehr lag er davor und bewachte eifersüchtig seine gehorteten Schätze.
Es half nicht, daß ich jedesmal das Sammelsurium auf die Terrasse kippte, nachdem ich die noch verwertbaren beziehungsweise unappetitlichen Teile aussortiert hatte, Otto konnte sich von nichts trennen. Er schleppte nach und nach die einzelnen Sachen wieder ins Haus, versteckte sie erst einmal an unzugänglichen Stellen, um sie später nach vorsichtigem Rundumblick erneut in seinen Korb zu tragen. War meine Putzfrau anfangs noch erstaunt gewesen, wenn sie hinter der Übergardine einen Quirl und neben dem Schuhschrank einen zerfetzten Socken gefunden hatte, so fragte sie später nur noch: »Im Blumenwagen liegt eine Serviette. Brauchen Sie die noch, oder gehört sie dem Hund?«
Dabei hatte er genug Spielzeug, um den Neid eines Kleinkindes zu erwecken. Gummibälle, Stofftierchen, einen Beißring, das abgeschnittene Hosenbein von Svens Jeans, das man sich so herrlich um die Ohren hauen konnte, und natürlich Quietschpüppchen in verschiedenen Tonlagen, ausnahmslos Mitbringsel tierliebender Freunde, die selbst keine haben. Diese Sachen liebte Otto sehr. Und ganz besonders liebte er sie, wenn im Fernsehen ein Krimi lief. Zehn Minuten vor Schluß, wenn der Mörder gerade unter der Indizienlast zusammenbricht, pflegte Otto durch das Zimmer zu spazieren, in der Schnauze das am lautesten quiekende Spielzeug, und so lange darauf herumzukauen, bis wir entweder den Kasten auf volle Lautstärke drehten, um wenigstens noch das Ende mitzukriegen, oder dem Störenfried die Geräuschquelle entrissen. Das nützte nur nicht viel, denn er holte sofort die nächste. Wir haben auch versucht, ihn auszusperren, doch dann kratzte er so lange empört an der Tür, bis wir sie entnervt wieder öffneten.
Früher hatte für mich Weihnachten immer erst dann begonnen, wenn die Batterien in den neuen Spielsachen leer waren, jetzt ging es mir so ähnlich. Der häusliche Friede war gesichert, sobald ich den Quietschmechanismus von Ottos Püppchen mit einer Stricknadel entfernt oder durch energisches Bohren wenigstens auf eine erträgliche Lautstärke gebracht hatte.
Dann allerdings hatte er jegliches Interesse daran verloren und schmiß die Sachen nur noch in der Gegend herum.
Sehr zu Katjas Befriedigung. »Nun sieht das Haus doch wenigstens wieder bewohnt aus!«
Ob sich allerdings unsere Nachbarin dieser Meinung angeschlossen hat, bleibt dahingestellt. Als sie mir einen fehlgeleiteten Brief herüberbrachte, trat sie auf Ottos Gummiknochen, verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Kopf an die Haustür. Otto betrachtete diese Entgleisung als persönlichen Affront und fuhr ihr
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