Werke
Verhältnissen. Mein Vater las sehr gerne in geschichtlichen und wissenschaftlichen Büchern. Jede Zeit, die er frei hatte, widmete er fast ganz dem Lesen. Er hatte sich eine eigene Lampe und ein Pult erfunden, um nachts oder wenn er krank war, im Bette lesen zu können Man sagte, daß er in seiner Jugend daran gegangen sei, eine Weltgeschichte zu schreiben. Wir haben nie etwas davon zu Gesichte bekommen.
Wir besuchten die Schulen, und gehörten zu den besten Schülern. Ich weiß noch wie heute, wie dann in den freien Schulmonaten oft andere Roderer zu uns auf den Hof kamen, und wie wir dann Spiele hielten. Unter den Mädchen, welche auf dem einen oder dem andern Wagen von der einen oder der andern Seite zuweilen zu uns geführt wurden, war auch Mathilde, die Enkelin jener Mathilde, die von dem Obersten in das Haus genommen worden war. Das Mädchen hatte sehr schöne rosige Wangen, braune Haare und bedeutend große, braune Augen. Es war stille und schien ein wenig unwissend. Es schloß sich gerne an mich an, und wenn es die Vettern neckten oder sogar im Übermute nach ihm schlugen, stellte es sich an meine Seite, als ob es dadurch schon geschützt wäre. Als ich heran wuchs, kam ein großes Unglück in die Roderer. Alle starben in kurzer Frist, ohne daß eben eine Seuche im Lande war, an verschiedenen Übeln so zusammen, daß nur mein Vater mit seinen Kindern und ein Sohn Josephs, ein Witwer, übrig blieb. Dieser Sohn Josephs, der selber wieder Joseph hieß, war ein alter, gebrechlicher Mann, und bei ihm war Mathilde: sie wurde wenig beachtet, erhielt, was sie brauchte, und blieb unwissend. Ich war in der gelehrten Schule einer der besten Zöglinge; vor allem rissen mich die Dichter zur Begeisterung hin, und wie mein Vater Geschichtschreiber las, so las ich fast immer, wie nur eine freie Minute gegönnt war, Dichter.
Die alten Griechen hatte ich sehr bald inne, ich ging zu den Römern, die mir weniger behagten, und dann zu den Neuern. Ich schwamm in einem Meere von Wonne, wenn ich mich in der Welt der Dichtungen bewegen konnte, und es stiegen dann Gestalten von Helden, von erhabenen Frauen und von feenhaften Mädchen mit Engelswesen im höchsten Maße in meiner Seele empor. Und so wuchs der Wunsch und Entschluß heraus, Heldendichter zu werden. Alle Heldenbücher wurden wieder hervorgenommen, die alten und die unserer ersten, blühenden Zeit. Ich wählte Adam zu meinem Stoffe, die Makkabäer, Karl den Großen, Otto und Friedrich den Rotbart.
Alle Dinge, welche sonst Jünglinge meines Alters erfreuen, berührten mich nicht mehr, außer die Welt meiner Dichtungen. Ich bedurfte nur sehr wenigen Schlafes, wählte absichtlich sehr einfache Nahrung, und war immer bei meinen Schriften oder Büchern. Und wenn ich viele Stunden zu einem einzigen Verse brauchte, so wendete ich die Stunden an, bis der Vers leicht und schön floß, und tiefe Gestaltung hatte wie bei Homeros. Ich hatte oft freudige Schauer, wenn nach langem Schmieden eine herrliche Wendung gelang. Ich lernte zu meinem Zwecke Sprachen: Sanskrit, Hebräisch, Arabisch und fast alle europäischen Sprachen. Ich spreche sie noch mit einiger Fertigkeit. Da las ich nun das Größte, was in diesen Sprachen vorhanden war. Es war groß und außerordentlich; dennoch aber nicht so groß und nicht so außerordentlich wie die Wirklichkeit. Ich beschloß, alle Heldendichter zu übertreffen und die wirkliche Wahrheit zu bringen, und da sehr viele Zeit mit Sprachenlernen und Lesen vorüber gegangen war, und ich mein Ottolied wieder las und das Makkabäerlied, welch beide Entwürfe meine besten Arbeiten waren, reichten sie nicht an das Vorhandene, und da ich mit Anwendung aller meiner Zeit und Kraft Neues dichtete, und dasselbe nicht größer war als die bestehenden Lieder, und die wirkliche Wahrheit nicht brachte, dichtete ich nicht mehr und vertilgte alles, was ich gemacht hatte. Nur die Bücher, die ich kennen gelernt hatte, warenund blieben zu Zeiten meine Freude. Was ich jetzt tun sollte, wußte ich nicht. Es war eine Leere gekommen. Da trat eine Zeit heran, die alles änderte. Mein Vater starb eines plötzlichen Todes in der Fülle seiner besten Kraft. Ein stürzender Wagen hatte ihn erschlagen. Meine Mutter geriet in Verzweiflung, und der Gedanke, wer denn jetzt ihre Kinder in der Welt feststellen werde, marterte ihr Herz. Sie mußte das Geschäft unseres Vaters fortführen.
Forderungen wurden angemeldet, ausstehende Schulden geleugnet, Handelsfreunde drückten uns,
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