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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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habhaft werden konnte, floh die Schule, verschleuderte jeden Pfennig, den er bekam; führte alle Buben der Gegend, welche, wie er, nicht viel in dem väterlichen Hause waren, zu Schlachten an oder zu Zügen in den Wäldern, oder sie fingen Fische und Krebse in den Bächen und brateten sich dieselben an einem Feuer, das sie angelegt hatten, und wenn er die Strafe des Vaters fürchtete, schlief er oft mehrere Nächte in einer Höhle oder unter einem überhängenden Steine, der ihn vor dem Nachttaue schützte.
    Der Vater suchte ihn zu bessern, er redete ihm zu, er züchtigte ihn empfindlich; aber durch die Strafe wurde er nur störriger. Seine Mutter war schon vor langer Zeit gestorben. Später ließ er sich einen langen Bart wachsen und ging zu den Gauklern, welche auf dem Seile tanzten, durch Reifen Luftsprünge machten, Feuer fraßen, Bänder spieen und ihren Körper in die staunenswertesten Stellungen brachten. Er kam weit von seiner väterlichen Gegend weg, und man hörte lange nichts mehr von ihm.
    Von den Gauklern ging er zu den Schauspielern, und stellte die verschiedensten Handlungen und Gemütsbewegungen der Menschen dar. Er wollte das deutsche Schauspielwesen auf den Gipfel der Kunst erheben, und was er in der Kindheit so sehr geflohen hatte, die Bücher, das wurde jetzt sein Lieblingsgegenstand. Fast Tag und Nacht las er, oder er schrieb, oder ließ davon nur ab, um seinen Kameraden darzutun, welche Sachen schön und würdig seien, und wie man sie am herrlichsten darstellen könne. Als die Preußen Schlesien angriffen, zog er gegen sie ins Feld, und ging nun nie mehr zu den Schauspielern oder Gauklern zurück, sondern blieb unter den Soldaten, brachte es vorwärts, und wie er einst die Lotterbuben seiner Heimat zu Spielschlachten angeführt hatte, so führte er jetzt Männer zu wirklichen, und die Zahl, die unter ihm stand, wurde stets größer. Er kam zu Hab und Gut, heiratete ein reiches Fräulein, und mehrte dadurch den Besitz.
    Was die vier Roderer Peter Buben in neunzig Jahren nicht zuwege bringen konnten, das erreichte der räudige Friedrich im Spiel und Sprunge. Er wohnte im Alter auf einem ihm zugehörigen Edelsitze, obwohl er selber nie nach dem Adel, der ihm hätte gegeben werden können, strebte.
    Von der Erbschaft der Roderer Peter Buben hatte er nur ein Teilchen bekommen, man weiß nicht, ob durch das Gesetz oder auf eine andere Weise. Das arme Töchterchen Karsts, Mathilde, nahm er zu sich.
    Dieser Friedrich Roderer war mein Urgroßvater, und von ihm stammen alle Roderer. Seltsam ist es, daß alle, so wie er den vollen Bart als Seilkünstler trug – wie er als Krieger war, wissen wir leider nicht mehr –, auch den vollen Bart trugen; aber im Widerspruche mit ihm trugen sie nicht einen langen, sondern einen auf drei Zoll zurückgestutzten Bart. Die zahlreichen Roderer, die von ihm stammen und ins Grab gestiegen sind, sah ich mit diesem Barte abgebildet, und die noch leben, kenne ich mit diesem Barte. Bei einigen, wie bei mir, ist er weiß geworden. Und haben Sie nicht auch, wie unser Geschlecht, einen kurzen, braunen Vollbart?«
    »Das ist ein Zufall,« sagte ich, »jetzt ist es in vielen Männerkreisen Sitte, einen kurzen Vollbart zu tragen. Mir gefällt die Sitte und mir ist es bequemer, meinen Bart mit Schere und Kamm zu behandeln, als mit dem Schermesser.«
    »Daß Ihnen diese Sitte gefällt, zeigt schon, daß Sie mit unserem Geschlecht gleich fühlen,« sagte Roderer, »wir trugen den Bart, da er noch nicht Sitte war,«
    Er schwieg ein Weilchen, dann sagte er: »Wollen Sie denn von mir nicht auch etwas hören?«
    »Dem würde ich die größte Teilnahme schenken«, sagte ich.
    »Freilich,« antwortete er, »weil ich vor Ihnen sitze, und weil das Gegenwärtige immer mehr Kraft und Recht hat als das Abwesende. So hören Sie denn.
    Von den vier Söhnen Friedrichs, nachdem einer von den Wölfen zerrissen worden war und einer sich in den deutschen Orden begeben hatte, heirateten zwei, mein Großvater Peter, der zweitjüngste, und der jüngste, Joseph. Auch die vier Töchter heirateten, und auch das angenommene Kind Mathilde. So wurden wieder Roderer und solche, denen von weiblicher Seite her Rodererblut in den Adern rann. Mein Vater hieß gleichfalls Peter, so wie ich wieder Peter heiße. Mein Vater besaß ein kleines Anwesen und trieb einen lebhaften Linnen- und Flachshandel. Vier Söhne und vier Töchter gebar ihm meine Mutter. Unsere Eltern erzogen uns sorgfältig und unter angenehmen

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