Werke
und Äckern hart an dem großen Walde lag, kam der Herr und die Frau öfter zum Besuche, und an den Kindern derselben hatten Franz und Katharina Gespielen. Sie gingen öfter auch in das Haus hinauf. So war es auch mit dem Hause des Herrn und der Frau Winden, das jenseits des rauschenden Baches lag, auf dessen Brücke die gemalten Grenzsteine standen, die Franz und Katharina so bewunderten. Und wie mit diesen zwei Häusern war es auch noch mit dem einen oder dem anderen Hause und Häuschen. Wenn Stephan mit den alten Leuten sprach, spielten die Kinder.
Einmal, da sie wieder zu ihrem Waldbrunnen gingen, sahen sie, ehe sie bei ihm waren, auf dem hohen Steine desselben das wilde Mädchen stehen. Es hatte den Kopf erhoben und streckte bald den einen Arm empor, bald den andern, bald beide, bald hielt es dieselben wagerecht, und rief dabei Worte aus. Wenn es den Arm oder beide emporstreckte, fiel der Hemdärmel, der nicht geknöpft war, zurück, und es waren die dunklen Arme zu sehen, als wären sie aus Erz gegossen. Und den Leib richtete das Mädchen empor, daß er noch schlanker und höher erschien. Anfangs konnten Stephan und die Kinder die Worte nicht verstehen, dann lauschten sie ihnen und vernahmen: »Schöne Frau, alte Frau, schöne Frau, weißes Haar, Augenpaar, Sonnenschein, Hütte dein, Märchenfrau, Flachs so grau, Worte dein, Herz hinein, Mädchen, Mädchen, Mädchen, bleib bei ihr, schmücke sie, nähre sie, schlafe da, immer nah, alle fort, himmelhoch, Sonne noch, Jana, Jana, Jana!«
Und bei diesem Worte erblickte das Mädchen die drei Menschen, die unten standen, und glitt schnell wie eine Waldschlange rückwärts von dem Steine hinab und ward nicht mehr gesehen. Stephan ging mit den Kindern zu dem Brunnen, schöpfte in seinen Glasbecher Wasser, und sie tranken. Da kam das wilde Mädchen herzu, blieb stehen und sah sie mit den glänzenden Augen an, und seine dunkeln Wangen waren von der Bewegung rot.
Als der alte Stephan und die Kinder Anstalten machten, sich von dem Brunnen zu entfernen, ging das wilde Mädchen zu dem alten Manne, faßte seine Hand und sagte: »Geh mit.«
»So führe mich«, sagte der alte Mann.
Das wilde Mädchen führte ihn und ließ seine Hand nicht los. Es führte ihn von dem Brunnen abwärts, und dann, da die Wege sich teilten, einen andern Pfad durch den Wald, als auf welchem man gegen das Schreinerhäuschen kömmt. Da sie ins Freie gelangten, gingen sie über Anger und Wiese, durch einen Graben und durch ein Gehölz. Die Kinder gingen hinterher. Aus dem Gehölze kamen sie zu dem kleinen Felde, das vom Gebüsche umgeben ist, auf dem im vorigen Sommer das Korn gestanden war, auf dem jetzt grüner Hafer wuchs, und an dem das Holzhäuschen mit dem Holzanbaue stand. Über dem Felde sang wieder die Lerche wie eine winzige Ampel, als liebte sie diesen Platz, oder als wollte sie den Kindern eine Freude machen, da sie heuer wieder hieher kamen. Das Mädchen führte den alten Mann und die Kinder zu dem Anbaue des Häuschens und sagte: »Da ist er, Großmutter.« Nach einem Weilchen sprach es zu Stephan: »Du bist bei dem Herrn Martin Winden gewesen, du bist bei dem Herrn Franz Rosenau gewesen, du bist in der Schule gewesen, du bist in dem Marhause gewesen und bei Ludwinas Eltern und bei dem Grabenbauer und in der Mühle, warum bist du nicht zu uns gekommen?«
»Ich wäre schon gekommen«, sagte Stephan.
Die Großmutter saß unter der Tür des Anbaues auf einem Bänklein. Sie hatte von den Bändern und Glasperlen und den anderen Dingen, welche Stephan gespendet hatte, an sich. Sie saß müßig an der Sonne, als hätte sie auf ihn wie auf einen Bräutigam gewartet.
Das wilde Mädchen lief in das Häuschen, brachte in einem grünen Krüglein Milch, reichte das Krüglein der Großmutter und sagte: »Trink.«
»Jana, Jana,« sagte die Großmutter, da das Mädchen zurück war, »die Hummeln sind in ihrem Baue, und du bist immer fort«.
»Ich muß Sachen suchen,« erwiderte das Mädchen, »die du brauchst, ich muß singen und auf den Stein steigen, und ich muß nach dem alten Manne forschen.«
»Wir kommen zu Euch, liebe Frau,« sagte Stephan, »weil wir wieder in dem Waldlande sind. Wir bleiben den ganzen Sommer da und werden schon öfter zu Euch kommen.«
»Du bist ein alter Mann, sie ist eine alte Frau,« sagte das wilde Mädchen, »sie ist schön, und du bist schön.«
Stephan antwortete nicht auf diese Rede, sondern sprach zu der alten Frau, wie der Himmel so heiter sei, wie der
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