Werke
solle, war keine Rede mehr.
Und so war der Sommer vergangen, und es war der Herbst gekommen, der die Brombeeren, aber auch die kalten Reife des Morgens brachte.
Stephan packte seine Sachen zusammen und fuhr eines Tages mit den Kindern davon. Das wilde Mädchen hatte wieder, ehe er in den Wagen stieg, die Arme um seinen Nacken geschlungen und seinen weißen Stutzbart geküßt. Von den Kindern hatte es durch Drücken der Hände und durch Schütteln derselben Abschied genommen.
Als im nächsten Frühlinge der Wagen, in welchem Stephan mit den Kindern saß, wieder gegen den Wald fuhr, stand an der Grundmühle, noch lange ehe das Fahrzeug zu dem Wirtshause in der Klafferstraße kommen konnte, das wilde Mädchen. Als es den Wagen sah, machte es Zeichen. Stephan ließ den Wagen halten. Das Mädchen lief hinzu, sprang auf den Tritt, küßte den alten Mann wie bei dem Abschiede, reichte den Kindern die Hände und drückte und schüttelte die ihrigen, und glitt dann wieder von dem Wagentritte herab und lief querfeldein dem Walde zu.
Stephan brachte jetzt auch keine andern Geschenke für das wilde Mädchen als eine Reihe von verschiedenfarbigen Muscheln. Die Kinder brachten gar nichts.
Stephan ging bald nach seiner Ankunft in das Holzhäuschen an dem kleinen Waldfeldchen, auf dem heuer Gerste stand, und neben dem Häuschen in den kleinen Holzbau, um mit den Kindern die alte Großmutter und Juliana zu grüßen. Er gab dem Mädchen die Muscheln. Es nahm dieselben mit Freuden.
Als er mit den Kindern wieder einmal in den Holzbau kam, waren unter dem andern Zierat auch die Muscheln verteilt. Die schönsten trug die Großmutter um den Hals.
Und in diesem Sommer war es wieder, wie es in dem vorigen gewesen war. Stephan machte mit den Kindern Besuche in verschiedenen Häusern, und man besuchte auch ihn und die Kinder wieder. Er ging mit den Kindern täglich zu dem Waldbrunnen, und täglich war das wilde Mädchen da. Er führte die Kinder auch oft zu der alten Großmutter, und stets war das Mädchen zu Hause, wenn er kam. Sonst lief es auch in das Schreinerhäuschen wie früher, und hüpfte und tanzte, und spielte mit den zwei Kindern. Nur wenn fremde Leute bei Stephan waren, kam es niemals.
Daß die Großmutter mit Juliana in die anderen Räume des Holzhäuschens ziehen solle, geschah auch heuer nicht. Die Mutter des Mädchens freute sich schon darüber, daß ihr Kind mit den Enkeln eines so vornehmen Mannes umgehen und spielen dürfte. Das Lächeln der Großmutter war seliger, wenn sie spann, oder im Nichtstun in der Sonne saß.
Das wilde Mädchen sprach zu Stephan: »Du bist recht schön, du bist recht gut.«
Eines Tages, da die Kinder mit Juliana in der Stube des Schreinerhäuschens waren, und Franz den Vorschlag machte, über den großen Anger zu dem Forellenbache hinab zu laufen, und da die Kinder sich schon bei dem Großvater verabschiedet hatten und aus der Tür waren, kehrte Juliana noch einmal um, lief zu Stephan, tupfte mit ihrer Hand an den Ärmel seines Rockes, drückte dann die Stelle mit der Hand, sah ihn an und lief dann den andern Kindern nach.
Während sie den Anger hinab rannten, trat Stephan vor ein Kreuz, das in dem Zimmer hing, seinen Augen entstürzten Tränen, und er sagte: »Du heiliger und du gerechter Gott! So ist es denn zum ersten Male in meinem Leben, daß ich von jemandem um meiner selbst willen geliebt werde, von einem Menschen, dem ich nichts gegeben und getan habe, weshalb Menschen sonst Dank oder Zuneigung schuldig zu sein glauben, oder was sie durch ihr Entgegenkommen zu gewinnen hoffen. Und dieser Mensch ist ein armes, verwaistes und vernachlässigtes Kind, das keine Gründe seiner Handlungen und Empfindungen kennt. Ich danke dir für dieses süße, bisher ungekannte, mir zum Schlusse meines Lebens gegebene Gefühl, du mein gerechter, mein guter Gott!«
Dann ging er in der Stube hin und wider, und trocknete sich mit dem Tuche die Tränen von den Augen.
Crescentia kam und sagte, ob er denn sehe, wie fröhlich die Kinder auf dem Anger sind. Sie sind hinabgelaufen, sind heraufgelaufen, sind wieder hinabgelaufen, und jetzt halten sie sich an den Händen und drehen sich im Kreise. »Lasse das,« sagte Stephan, »sie genießen den Beginn des Lebens, wenn dasselbe gegen das Ende neigt, ist alles anders.« Stephan war gegen Juliana, ihre Großmutter und ihre andern Angehörigen in diesem Sommer nicht anders als in den früheren.
Da die Zeit des Waldaufenthaltes aus war und die Abreise kam, nahm
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